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Dr. Paul Köbler, Seminarleiter | So erschienen im Alpha1-Journal 1/2025.
Im Rahmen des diesjährigen Alpha1-Infotages fand für mich erstmalig ein Workshop für Angehörige statt. Dieser stellte sich als wichtiger und emotionaler Programmpunkt heraus. Leider geraten Partner, Eltern, Kinder oder enge Freunde viel zu oft in den Hintergrund, obwohl gerade sie diejenigen sind, die das Leben mit einer chronischen Erkrankung wie dem Alpha1-Antitrypsin-Mangel Tag für Tag mittragen und mitgestalten.
Das Ziel dieses Workshops war es, einen geschützten Raum für genau diese Menschen zu schaffen, die im Hinblick auf den Umgang mit Erkrankten von Sorgen, Ängsten und Unsicherheiten belastet sind. Häufig scheint im Alltag kein Platz für diese Gedanken und Sorgen zu sein, oder sie bleiben aus Rücksicht auf die erkrankte Person unausgesprochen. Im Laufe des Workshops zeigten sich immer mehr Offenheit und Vertrauen unter den Teilnehmern, was zu einer Atmosphäre mit viel Verständnis und gegenseitiger Wertschät zung führte.
Zudem gab es eine große Bandbreite an besprochenen Themen, wie zum Beispiel das Gefühl von Hilflosigkeit, die Angst vor dem Fortschreiten der Erkrankung oder der Druck, im Alltag stets stark sein zu müssen. Bei vielen Angehörigen zeigte sich deutlich, wie wichtig es war, endlich über genau solche Themen sprechen zu können. Ebenso wurde thematisiert, dass vielen Angehörigen die Anerkennung für ihre geleistete Unterstützung fehlt und ihre Arbeit viel zu häufig als selbstverständlich angesehen wird.
Ein besonderer Mehrwert des Workshops war die Begleitung durch Psychologe Dr. Paul Köbler, der nicht nur fachlichen Input gab, sondern auch auf individuelle Fragen und emotionale Belastungen einging. Er schuf einen sicheren Raum und gab mit seinen Impulsen wertvolle Anregungen, wie Selbstfürsorge aussehen könnte.
Diese Veranstaltung zeigte, dass es vielen ähnlich geht, dass man mit den eigenen Sorgen und Gedanken nicht allein ist und dass auch Angehörige einen Anspruch auf Entlastung, Information und Unterstützung haben. Sicherlich war dieser Workshop für viele ein erster Schritt, ihre eigene Belastung anzuerkennen und neue Kraft zu schöpfen. Das zeigte sich auch in den positiven Rückmeldungen und der gezeigten Dankbarkeit im Anschluss an den Workshop. Es wurde deutlich, wie wichtig solche Angebote nicht nur als Ergänzung, sondern als fester Bestandteil von Informationsveranstaltungen rund um chronische Erkrankungen sind.
Roland Wilkens: „Wie bereits auch beim ersten Angehörigen Workshop vor einigen Jahren, zeigte sich erneut, wie wichtig und notwendig ein solcher Austausch im geschützten Raum für uns Angehörige ist. Zukünftig sollte dem Workshop noch mehr Zeit eingeräumt werden, gerne mit Pausen für den Austausch untereinander.“
Paul Köbler: Studien zum Alpha-1-Antitrypsin-Mangel zeigen, dass Angehörige von Patienten ausgeprägte psychische Belastungen entwickeln können (Miravitlles et al., 2022). Sie leiden häufig unter Ängsten, Stress und Verzweiflungsgefühlen, die aus der ständigen Sorge um das erkrankte Familienmitglied resultieren. Diese Gefühle werden manchmal von der Angst um zukünftige Generationen begleitet, was die emotionale Belastung zusätzlich verstärkt.
Darüber hinaus zeigen Untersuchungen zur Krankheitslast bei Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, dass die Erkrankung und Versorgung eines Familienmitglieds für Angehörige erhebliche lebensprakti sche Einschränkungen mit sich bringen kann. Häufig führt die intensive Betreuung zu einem spürbaren Verlust von Flexibilität im beruflichen und sozialen Leben. Diese Veränderungen können sich in verschiedenen Lebensbereichen zeigen: Finanzielle Schwierigkeiten entstehen oft durch reduzierte Arbeitszeiten oder Ausfälle, während sich viele Angehörige zunehmend aus ihrem sozialen Umfeld zurückziehen. Die gewohnte Teilhabe an Hobbys, Reisen oder anderen Freizeitaktivitäten ist manchmal eingeschränkt, was zu Vereinsamung führen kann.
Dies führt für Angehörige zu einer Art „Doppel-Rolle“, welche ihre Lebenssituation maßgeblich prägt: Als Mitbetroffene teilen sie oft viele Aspekte der veränderten Lebenssituation mit den Erkrankten. Diese enge Verbundenheit führt dazu, dass sie ähnliche emotionale und psychische Belastungen erleben. Die Ungewissheit über den Krankheitsverlauf und die Zukunft begleitet auch sie täglich, während Einsamkeit durch die veränderten sozialen Kontakte entstehen kann. Gleich zeitig übernehmen Angehörige die anspruchsvolle Rolle als Unterstützende, was mit vielfältigen und komplexen Aufgaben verbunden ist. Sie werden zu wichtigen Partnern in der Informationsbeschaffung und -vermittlung, helfen bei der Symptomkontrolle und erkennen bspw. frühzeitig Anzeichen einer Exazerbation der Erkrankung. Eine zentrale Aufgabe liegt darin, den Betroffenen psychische Entlastung zu bieten und sie zu motivieren sowie zu aktivieren. Darüber hinaus über nehmen sie in späteren Krankheitsphasen oft auch Tätigkeiten in der Grund- und Behandlungs pflege, was sowohl körperlich als auch emotional sehr fordernd sein kann (Chronische Erkrankung als We-Disease; Horn et al., 2023).
Aus diesem Grund ist eine entsprechende gemeinsame aktive Krankheitsbewältigung von entscheidender Bedeutung. Ein wesentlicher Baustein dieser gemeinsamen Bewältigung ist die Mobilisierung von sozialen und emotionalen Ressourcen. Das Einholen und Geben von Rat sowie die Anbindung an andere Betroffene und Angehörige und das Gefühl des „Dazugehörens“ stellen wichtige psychische Grundbedürfnisse dar, die aktiv gefördert werden sollten.
Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei ein häufig beobachtetes Phänomen: die protektive oder emotionale Pufferung (protective/emotional buffering), eine weitverbreitete Coping-Strategie im Rahmen der gemeinsamen Krankheitsbewältigung. Hierbei versuchen die Partner, ihre eigenen Bedürfnisse, Sorgen, Ängste und Stimmungen voreinander zurückzuhalten, um den anderen nicht zusätzlich zu belasten. Obwohl dieses wechselseitige Schonverhalten kurzfristig zu einer Entlastung führen kann, zeigt es langfristig oft negative Auswirkungen auf die Kommunikation und Beziehungsqualität (Langer et al., 2009).
Genau deshalb sind Foren des gemeinsamen Angehörigenaustauschs auf Patientenveranstaltungen wie in Bad Wildungen so wertvoll und wichtig. Sie bieten zunächst einen geschützten Raum, in dem sich Angehörige offen austauschen können, ohne das Gefühl zu haben, den Partner zusätzlich belasten zu müssen. Dies kann dann unter Umständen auch eine Grundlage für weiterführende Gespräche mit den betroffenen Partnern bieten.
Horn, A. B., Zimmerli, L., Maercker, A., & Holzer, B. M. (2023). The worse we feel, the more intensively we need to stick together: A qualitative study of couples’ emotional co-regulation of the challenge of multimorbidity. Frontiers in Psychology, 14, 1213927. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2023.1213927
Langer, S. L., Brown, J. D., & Syrjala, K. L. (2009). Intrapersonal and interpersonal consequences of protective buffering among cancer patients and caregivers. Cancer, 115(S18), 4311–4325. https://doi.org/10.1002/cncr.24586
Miravitlles, M., Herepath, M., Priyendu, A., Sharma, S., Vilchez, T., Vit, O., Haensel, M., Lepage, V., Gens, H., & Greu lich, T. (2022). Disease burden associated with alpha-1 antitrypsin deficiency: Systematic and structured literature reviews. European Respiratory Review, 31(163), 210262. https://doi.org/10.1183/16000617.0262-2021