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Leserbrief von Heike Beier: Als der Tod bei uns zu Hause war

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Heike Beier

Niemand spricht gerne über den Tod. Noch beklemmender ist es, über das eigene Sterben oder dem des geliebten Partners zu sprechen. Gerade deshalb und weil das Thema auf Wunsch vieler älteren Mitglieder in unserem Journal künftig Beachtung finden soll, fasse ich Mut und berichte Ihnen über meine eigene schmerzliche Erfahrung.

Bei uns zu Hause haben wir oft über den Tod gesprochen. Nicht nur mein Mann mit mir, sondern auch mit der gesamten Familie und den engsten Freunden. Egal ob mit konkreten Vorstellungen zu seiner Beerdigung, es sollte unbedingt eine Erdbestattung sein, oder verpackt in seiner ihm eigenen humorigen Art früher als andere aus dem Leben zu scheiden, tabuisiert wurde nichts, geschont niemand. Als mein Mann 1994 mit 37 Jahren die Diagnose AAT ZZ erhielt, mit einer Lebensprognose von maximal noch 10 Jahren, brach zunächst für uns beide eine Welt zusammen. Fortan war Angst mein ständiger Begleiter. Im Gegensatz zu mir hat mein Mann sich ziemlich schnell mit seiner Erkrankung arrangiert und ein sinnerfülltes Leben geführt. Gerade den älteren Mitgliedern wird er noch als Alpha1 Vorsitzender in Erinnerung sein. Mit seiner optimistischen heiteren Lebensart war er nicht nur für mich Stütze und Trostspender in schwierigen Situationen.

In den letzten Wochen vor seinem Tod, 21 Jahre nach Diagnosestellung, lag er häufiger und länger im Bett. Ein diabetischer Fuß zwang ihn dazu. Jedes Aufstehen, jede kleine Verrichtung bereiteten Schmerzen und Anstrengungen, die er klaglos hinnahm. Ohne den Ernst der Situation zu erkennen, rückten wir noch näher zusammen und erfreuten uns an jedem kleinen Fortschritt und zwischendurch wurden vorsichtig schon wieder Pläne geschmiedet. Selbst eine Fußamputation wurde von ihm in Erwägung gezogen, damit endlich die zwangsläufigen Liegezeiten vorbei wären.

Als der Tod bei uns zu Hause war, war ich mit unserem Enkel Elias zum Einkauf unterwegs. Als wir zurückkehrten, wartete bereits der  Bruder meines Mannes, dem er die Tür nicht öffnete. Elias war als erster im Haus und entdeckte seinen geliebten Opa zusammengesunken und bewusstlos im Bad. Trotz Erster-Hilfe-Maßnahmen seines Bruders und anschließend vom Rettungsdienst,  konnte nur der Puls zurückgeholt werden. Ich bat um eine Mitnahme ins Krankenhaus, wo er zwei Stunden später verstarb.

Heute bereue ich diesen Schritt, zumal mein Mann eine Patientenverfügung besaß, die mir erlaubt hätte, die lange Reanimierung mit Luftröhrenschnitt und Infusionen abzubrechen, da geistige Schäden sich zwangsläufig eingestellt hätten. In dieser plötzlichen Ausnahmesituation wollte ich alles tun, um meinen Mann nicht zu verlieren. Bis heute belastet mich, dass ich ihn nicht zu Hause in seinem Bett hab einschlafen beziehungsweise den Tod feststellen lassen. So gerne hätte ich ihm die Hand gehalten und einen sehr persönlichen letzten Moment mit ihm geteilt.

Inzwischen ist mein Mann bereits über drei Jahre tot. Ich vermisse ihn sehr, vor allem seinen Humor und die Leichtigkeit, mit schwierigen Dingen umzugehen. Es ist tröstlich, dass er nicht nur in unserer Familie in Gesprächen weiterhin präsent ist. Allerdings muss ich auch feststellen, dass das Leben vielfach einfacher und unbeschwerter für mich ist. Neue Türen haben sich für mich geöffnet, die zuvor nicht denkbar gewesen wären. Spontanität, Unabhängigkeit und freie Zeitkontingente für neue und alte Interessen bestimmen nun mein Leben und ich bin mir sicher, dass mein Mann sich darüber mit mir mitfreuen könnte.

Heike Beier

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