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Bericht vom 2. MHH-Patientenseminar „Alpha-1-Antitrypsin-Mangel“ an der Medizinischen Hochschule Hannover am 24.08.2024

 

Zu Beginn begrüßten Frau Prof. Dr. Sabina Janciauskiene von der Klinik für Pneumologie und Infektiologie der MHH als wissenschaftliche Leiterin der Veranstaltung und Frau Marion Wilkens als Vorstand des Alpha1-Deutschland e.V. die sehr zahlreich erschienenen Gäste. Sie sprachen auch gleich ihren Dank aus an diejenigen, die die Veranstaltung unterstützt und ermöglicht haben: Frau Dr. Annegret Zurawski als Klinikmanagerin der MHH für Organisation und Durchführung der Veranstaltung, Frau Inga Kwapniewska vom Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL) an der MHH für die Unterstützung der Organisation, den Sponsoren Grifols, CSL Behring und Takeda für die finanzielle Unterstützung und der Firma Linde für die Sauerstoff-Versorgung.

Den ersten Fachvortrag hielt dann Frau Dr. Isabell Pink zum Thema „Bronchiektasen bei AATM“. Unter Bronchiektasen versteht man Ausweitungen und Aussackungen der Bronchien, also der luftleitenden Atemwege zwischen Luftröhre und den Lungenbläschen. Da der AATM an sich ja eine seltene Erkrankung ist, spielt dessen Anteil an der Häufigkeit des Auftretens von Bronchiektasen insgesamt nur eine untergeordnete Rolle, wie man aus Auswertungen des entsprechenden Europäischen Bronchiektasenregisters EMBARC entnehmen kann. Aus Studien auf Basis des Europäischen Alpha-1-Registers EARCO ist aber bekannt, dass von AATM der Variante PI*ZZ Betroffene zu einem Großteil Bronchiektasen aufweisen, meist zusätzlich zu einem Lungenemphysem (27% aller Alphas haben beides).

Die Behandlung von Bronchiektasen setzt zunächst bei der Grunderkrankung an, also z.B. Asthma oder COPD, und hierbei hauptsächlich mit Inhalationsmedikamenten. Darüber hinaus ist ein Rauchstopp obligatorisch, und physiotherapeutische Atemtherapie und Maßnahmen zur Sekretlösung (z.B. mit Hilfe von Verneblern) sind hilfreich. Allerdings lindern diese Maßnahmen nur die Symptome und verhindern ggf. Entzündungen; die Gewebeveränderungen bilden sich nicht mehr zurück.

Die o.g. Verformungen der Bronchien führen dazu, dass sich darin Schleim ansammelt, der einen idealen Nährboden für Erreger aller Art darstellt. Das führt häufig zu einer chronischen Bronchiektasenerkrankung, der sog. Bronchiektasie, zu deren Diagnose zwei der drei Kriterien erfüllt sein müssen:

  • Husten an den meisten Tagen der Woche
  • Schleimproduktion an den meisten Tagen der Woche
  • durchlebte Exazerbationen (s.u.)

Aus diesen chronischen Erscheinungen heraus entwickeln sich bisweilen akute krisenhafte Entzündungsprozesse, sog. Exazerbationen. Von einer solchen ist auszugehen, wenn mindestens 3 der 6 Leit-Symptome über mindestens 48 Stunden auftreten bzw. sich verschlimmern:

  • Husten
  • Auswurf
  • Verfärbungen im Auswurf
  • Kurzatmigkeit
  • Müdigkeit
  • Bluthusten

wobei auch Fieber, Entzündungswerte und andere klinische Auffälligkeiten die Diagnose untermauern können.

Die anzuwendende Therapie richtet sich nach der Schwere der Symptome; sie reicht von der physiotherapeutischen Sekretlösung über orale Antibiotika bis zur intravenösen Hochdosis-Antibiose im Rahmen einer stationären Behandlung.

Ansätze zur Reduzierung der Häufigkeit von Exazerbationen richten sich nach eventuell identifizierten Auslösern:

  • bei einer gestörten Selbstreinigungsfunktion der Atemwege muß diese gestärkt werden, z.B. durch entsprechende Medikamente und gezielte Atemphysiotherapie
  • bei bakteriellen Infektionen wird versucht, die entsprechenden Bakterienstämme (z.B. Pseudomonas aeruginosa) durch gezielte Antibiotika-Behandlung dauerhaft zu entfernen; Bronchiektasen-Erkrankte mit einem akuten Befall mit Pseudomonas aeruginosa können sich übrigens aktuell (Herbst 2024) zur Teilnahme an einer Medikamentenstudie bewerben unter https://www.lungeninformationsdienst.de/klinische-studien/aktuelle-klinische-studien/non-cf-bronchiektasen/eradicate
  • bei Atemwegsentzündungen richtet sich die Therapie aus an der funktionellen Ursache derselben

Ist die Ursache neutrophiler Natur, dann steht dafür jetzt ein Medikament am Abschluß der klinischen Erprobung: Brensocatib von Insmed. Die Phase 3, also der Vergleich der Wirksamkeit mit einem Placebo, ist erfolgreich abgeschlossen und weitgehend ausgewertet: durch die Behandlung mit Brensocatib gab es im Beobachtungszeitraum deutlich weniger Exazerbationen als in der Placebogruppe, und die Zeiten bis zum Auftreten der ersten Exazerbation waren deutlich verlängert; schwerwiegende Nebenwirkungen wurden dabei nicht beobachtet. Der Prozeß der Zulassung ist angestoßen, sodass mit der Verfügbarkeit für Patienten ab 2026 gerechnet werden kann. Es ist zu erwarten, dass auch AATM-Patienten mit dem entsprechenden Krankheitsbild von der Behandlung mit Brensocatib profitieren können.

Nach diesem positiven Ausblick ließ im anschließenden Vortrag „Leben mit AATM“ die Vorsitzende von Alpha1-Deutschland, Frau Marion Wilkens, die Zuhörer teilhaben an ihrer Lebensgeschichte: schon als Baby hatte sie eine schwere Gelbsucht und litt unter Gedeihstörungen, mit dem heutigen Wissenstand schon die ersten Vorboten ihrer Erkrankung. Mit 20 bekam sie die Diagnose Asthma, und es dauerte weitere 20 Jahre bis zur Diagnose AATM, der seither begleitet wird von regelmäßigen Untersuchungen von Lunge und Leber, viel Sport, Atemphysiotherapie und angepasster Lebensweise. Bei der Krankheitsbewältigung hat ihr u.a. die Fülle an Informationen geholfen, die sie teils vorgefunden, teils aber auch im Rahmen ihrer Vereinstätigkeit selber erarbeitet und im Rahmen ihres Vortrages vorgestellt hat. Dabei hat sie nochmals den Wert einer großen, gut informierten und sich gegenseitig stützenden Gemeinschaft wie dem Verein Alpha1 Deutschland als ein Baustein für eine erfolgreiche Bewältigung des AATM betont, dessen Aufbau und Arbeit sie dann noch in allen Facetten vorgestellt hat: regelmäßige Veranstaltungen, Selbsthilfegruppen, Informationskanäle im Internet und in Papierform, kostenloser Lungensport und Gedächtnistraining, Vernetzung mit Organisationen von Ärzten und Patienten (auch international). Das alles dient dem Ziel, Betroffenen zu ermöglichen, besser mit dem AATM leben zu können.

Den dritten Fachvortrag hielt Herr Dr. Hinze zum Thema „Infektionen und Impfen bei AATM“. Er stützte sich dabei auf die Empfehlungen der bundesweit verantwortlichen „Ständigen Impf-Kommission (STIKO)“. Geht es in erster Linie darum, die betreffenden Infektionen und die damit verbundenen meist sehr unangenehmen Begleiterscheinungen zu vermeiden, so spielt auch der Aspekt der Vermeidung zusätzlicher Herz-Kreislaufbelastungen bei Patienten mit chronischen Vorerkrankungen und fortgeschrittenem Lebensalter eine wesentliche Rolle.

Die folgenden Impfungen werden empfohlen:

  • Pneumokokken zur Vermeidung von Lungenentzündungen (den Impfstoff wählt der Impfarzt aus auf Basis des jeweiligen individuellen Impfstatus)
  • Respiratorisches Synzytial Virus (RSV) zur Vermeidung von Exazerbationen; die Kostenübernahme war zum Zeitpunkt des Vortrags noch individuell mit dem jeweiligen Kostenträger zu regeln, perspektivisch ist aber im Verlauf des Spätjahres 2024 mit einer Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen bei Risikopatienten zu rechnen
  • SARS-CoV2 (Covid-19)-Impfung sollte jährlich aufgefrischt werden; nach erfolgter Infektion kann auf die Auffrischung ein Jahr lang verzichtet werden
  • Influenza (Grippe) als Hochdosis-Impfung bei Personen über 60 Jahren, auch unter dem Aspekt der Vermeidung der Zuspitzung von Herz-Kreislauf-Krisen (Infarkten!)
  • Herpes-Zoster (Gürtelrose) als Totimpfstoff; auch bei deutlich spürbarer Reaktion auf die Erstimpfung sollte die Zweitimpfung nach 2 bis 6 Monaten auf jeden Fall durchgeführt werden

Anschließend trug Dr. Mark Greer zum Thema „Lungentransplantation bei AATM“ vor. Diese ist in Erwägung zu ziehen, wenn die Lungenfunktion weitgehend verloren ist und keine weiteren Therapieoptionen mehr zur Verfügung stehen. Allerdings ist eine Transplantation an eine Reihe weiterer Voraussetzungen geknüpft, zu denen u.a. gehören:

  • Lebensalter
  • Körpergewicht
  • Einhaltung Rauchverbot
  • keine Krebserkrankungen
  • keine Erkrankungen anderer lebenswichtiger Organe
  • psychische Stabilität
  • Fähigkeit/Bereitschaft zur Rehabilitation

Neben diesen objektiven Kriterien spielen auch Einschätzungen der behandelnden Ärzte eine Rolle, z.B.:

  • ein Sterblichkeitsrisiko über 50% innerhalb der nächsten 2 Lebensjahre
  • eine Überlebenswahrscheinlichkeit über 80% für die nächsten 5 Lebensjahre nach der Transplantation

Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, kann ein Patient für eine Lungentransplantation vorgesehen werden. Zu dieser kommt es dann, sobald ein passendes Spenderorgan vorliegt, welches nicht für einen Patienten mit noch größerem Transplantationsbedarf benötigt wird.

Die Lebensqualität der Patienten erfährt durch die Transplantation in den allermeisten Fällen einen deutlichen Schub, auch wenn sich das Leben danach signifikant von demjenigen davor unterscheidet: so müssen lebenslang regelmäßig Medikamente eingenommen werden, die die Abstoßung der neuen Lunge verhindern, und eine engmaschige Anbindung an das Transplantationszentrum bleibt auf Jahre hinaus notwendig.

Die Erfolgsquote von Lungentransplantationen verbessert sich permanent: die Hälfte aller Lungentransplantierten überlebt die Operation heute um mehr als 6,5 Jahre.

Im Anschluß an diesen Vortrag beschäftigte sich Prof. Dr. Sabina Janciauskiene mit der Frage „Substitution – ja oder nein?“, erläutert unter Bezügen zu realen Fallbeispielen. Dafür beschrieb sie zunächst den Wirkmechanismus der Substitution, mit deren Hilfe die nicht ausbalancierte Aktivität der Neutrophilen Elastase, die zum Abbau von Lungengewebe führt, ausgeglichen werden soll. Als Alternativen zur gängigen intravenösen Gabe von AAT befinden sich in Entwicklung: die Inhalation, die Gabe über die Haut oder die Verwendung rekombinanten (also biochemisch hergestellten) AATs. Letzteres wird gerade in einem klinischen Versuch erprobt: die vorliegende Variante wird vom Körper langsamer abgebaut, so dass Intervalle für die Behandlung deutlich ausgeweitet werden könnten, ist aber auch mit einer Anzahl Nebenwirkungen verbunden.

Bei der konventionellen Substitutionstherapie mit einer vom Körpergewicht abhängigen Dosis ist der Behandlungserfolg für den einzelnen Patienten bisweilen schwer abzuschätzen, wie Beispiele aus der klinischen Praxis belegen. Möglicherweise bietet die Festlegung der Dosis auf Basis des vorhandenen AAT-Spiegels und weiterer klinischer Parameter Vorteile. Auch Patienten mit einer schlechteren Lungenfunktion als aktuell vorgesehen können wahrscheinlich von der Substitutionstherapie noch profitieren. Bei Bronchiektasen und Asthma zeigen sich aber keine Verbesserungen. Strittig ist dagegen die Fortsetzung der Therapie nach einer Lungentransplantation.

Übersehen wird oft, dass der AATM eine Fülle von Hautproblemen auslösen kann, oft auf dem Umweg über AATM-bedingte Darmprobleme. Zu diesen gehören z.B. Akne, Ekzeme, Psoriasis, Rosazea, Urtikaria und Dermatitis herpetiformis.

Den letzten Fachvortrag des Tages hielt Frau Dr. Katja Deterding zum Thema „AATM aus Sicht des Hepatologen – neue Therapiemöglichkeiten“. Sie führte zunächst aus, dass beim AATM ein Ungleichgewicht zwischen AAT und Neutrophiler Elastase (NE) vorliegt, in dessen Folge es zu einer enzymatischen Zerstörung des Lungengewebes kommen kann, also zu einem Lungenemphysem. Besagtes Ungleichgewicht entsteht aber nicht dadurch, dass in der Leber der Betroffenen zu wenig AAT gebildet wird, sondern dadurch, dass das AAT falsch gefaltet ist, wodurch es polymerisiert, also Klumpen oder Stränge bildet, die so groß sind, dass sie die sie produzierenden Leberzellen nicht mehr verlassen können; dies kann zu Leberverhärtung (Leberfibrose), Leberzirrhose oder gar Leberkrebs führen. Während der geschilderte Vorgang bei Betroffenen mit der homozygoten Ausprägung PI*ZZ besonders stark ist, gelangt bei Betroffenen der heterozygoten Ausprägung PI*MZ mehr AAT ins Blut, wodurch die Lunge zumindest bei Nichtrauchern weitgehend geschützt ist; allerdings ist bei diesen Patienten das Risiko von Leberkomplikationen beim zusätzlichen Vorliegen chronischer Lebererkrankungen deutlich erhöht.

Zur Erkennung und Klassierung der Leberfibrose ist eine Entnahme von Lebergewebe mittels Biopsie die sicherste Methode, allerdings auch diejenige mit dem höchsten Risiko unerwünschter Nebenwirkungen. Nebenwirkungsfrei ist dagegen die Messung der Leberelastizität mittels Fibroscan, die deshalb auch für eine Verlaufskontrolle („Monitoring“) sehr geeignet ist. Zum Monitoring von Alphas mit der Ausprägung ZZ sind deshalb ratsam:

  • jährliche Messung der Leberwerte, ggf. öfters bei Einnahme potentiell leberschädigender Medikamente
  • Fibroscan im 3-Jahres-Abstand bei unauffälligem Befund, sonst engmaschiger (ersatzweise Berechnung des APRI-Wertes aus gemessenen Leberwerten, siehe dazu auch den Link zu einem APRI-Rechner auf der Internetseite von Alpha1 Deutschland unter https://alpha1-deutschland.org/alpha-1-und-die-leber)
  • Leberfunktionstest bei fortgeschrittener Erkrankung
  • Krebsüberwachung bei fortgeschrittener Zirrhose
  • auch wenn bei ZZ-Patienten nur in den seltensten Fällen sowohl Leber- als auch Lungenprobleme zusammen auftreten, sollte auch bei auffälligen Leberbefunden die Lunge regelmäßig kontrolliert werden

Neuartige Therapieansätze für den AATM sehen aus wie folgt:

  • durch die Einnahme chemischer Wirkstoffe soll die Fehlfaltung des AAT korrigiert werden, so dass dieses in ausreichender Menge von der Leber ins Blut übergeht, um diese nicht durch Polymere zu belasten und die Lunge ausreichend zu schützen
  • durch Eingriffe in das Erbgut (DNA) oder in die für die Bildung von Proteinen notwendigen Kopien einzelner DNA-Abschnitte (also auf Basis von RNA) soll die Leber dazu gebracht werden, „normales“ AAT zu produzieren
  • ebenso kann durch Eingriffe auf RNA-Basis die Bildung von AAT heruntergeregelt werden, wodurch eine durch verklumptes AAT belastete Leber wieder gesunden kann; eine klinische Studie zu diesem Ansatz läuft ja bereits schon länger auch in Deutschland, und sie wird aktuell auf eine wesentlich breitere Basis gestellt, wofür gerade weitere Studienteilnehmer gesucht werden; Interessenten finden weitergehende Informationen inkl. der Ein- und Ausschlußkriterien für eine Teilnahme im Internet unter https://global.theredwoodliverstudy.com/de-ch

Mit diesem Vortrag ging das 2. MHH-Patientenseminar „Alpha-1-Antitrypsin-Mangel“ zu Ende. Die große Zahl an Teilnehmern, die vielen Fragen an und angeregten Diskussionen mit den Vortragenden und der intensive Meinungsaustausch der Besucher untereinander lassen die Teilnehmer auf weitere Veranstaltungen im Rahmen dieser Seminarreihe hoffen.

Dr.-Ing. Heinz Stutzenberger

08.09.24

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