Berufsunfähigkeit und Erwerbsminderung
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Heike Isensee, SHG Stuttgart
Längere Zeit krank durch Alpha1 – und woher kommt Geld?
Tag eins bis Ende der sechsten Woche
In den ersten sechs Krankheitswochen muss der Arbeitgeber in der Regel – egal, ob der Kranke gesetzlich oder privat krankenversichert ist – das normale Gehalt in vollem Umfang weiterbezahlen.
Dauert die Krankheit länger als drei Tage, muss spätestens am vierten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) vom Arzt erstellt und dem Arbeitgeber vorgelegt werden (Achtung bei individuellen Anforderungen im Arbeitsvertrag). Diese Krankmeldung muss unbedingt innerhalb von einer Woche bei der Krankenkasse vorliegen, empfehlenswert ist ein Einschreiben. Dies gilt auch für eventuelle Folgebescheinigungen. Den Durchschlag für den Patienten sollte man gut aufbewahren, um später das Datum der ersten und weiterer Krankschreibungen belegen zu können.
Nach der sechsten Woche bis Ende der 78. Krankheitswoche
Nach den sechs Wochen trennen sich die Wege des Geldflusses in Abhängigkeit von der Versicherung des Kranken.
Arbeitnehmer, gesetzlich (GKV) versichert
Das Krankengeld wird für maximal 78 Wochen bzw. 19,5 Monate innerhalb von drei Jahren ab der ersten Krankschreibung bezahlt. Man muss nicht am Stück krankgeschrieben werden, die Zeiten werden zusammengezählt. Es muss aber immer dieselbe Krankheit als Grund für die Arbeitsunfähigkeit aufgeführt sein. Auch in Zeiten, in denen man im Krankenhaus oder in einer Reha-Einrichtung ist und während der der Arbeitgeber kein Gehalt bezahlt, erhält man Krankengeld.
Nach Ablauf der ersten sechs Wochen muss der Arbeitgeber eine Meldung an die Krankenkasse machen. Die Krankenkasse fordert dann vom Arbeitgeber eine Verdienstbescheinigung, damit der Anspruch geprüft und die Höhe des Krankengeldes berechnet werden kann.
Liegt man verdienstmäßig unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze von monatlich 4.687,50 Euro (Stand 2020), beträgt das Krankengeld 70 % des Bruttoeinkommens, maximal aber 90 % des Nettoeinkommens. Der maximale Tagessatz beträgt 109,38 Euro (max. 2.877 Euro im Monat, Stand 2020), d.h. anhand der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt eine Deckelung des Krankengeldes. Von dem niedrigeren (!) der beiden genannten Werte werden die Arbeitnehmer-Anteile für die gesetzliche Sozialversicherung (ca. 12 % für Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung) abgezogen. In der Zeit des Krankengeldbezugs zahlt man keine Krankenkassenbeiträge. Der Restbetrag nach Abzug der Sozialversicherung wird dann als Krankengeld ausgezahlt. Dieses Geld ist prinzipiell steuerfrei, unterliegt aber bei der Einkommenssteuer dem Progressionsvorbehalt, d.h. das Krankengeld wird für die Ermittlung des Steuersatzes einbezogen. Viele Krankenkassen bieten auf ihren Internetseiten einen Krankengeldrechner an. Es macht Sinn, sich prophylaktisch eine solche Rechnung zu erstellen, um zu wissen, wieviel Geld man im längeren Krankheitsfall überhaupt erhalten würde.
Es ist wichtig, die Differenz zwischen maximal bezahltem Krankengeld und den laufenden Ausgaben zu prüfen. Auch bei gesetzlich Versicherten macht der Abschluss einer Krankentagegeldversicherung Sinn, wenn die Differenz zu groß ist. Vor allem bei Kranken, deren Verdienst über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, kann die finanzielle Lücke wegen der Deckelung eklatant sein.
Wichtig für den Erhalt des Krankengeldes ist es, dass der Patient sich selbst darum kümmert, rechtzeitig die jeweiligen Folgebescheinigungen (AU)) an die Krankenkasse zu schicken. Die AU muss vom Arzt spätestens am Werktag nach dem letzten Tag, der auf der vorherigen Krankmeldung als letzter Krankheitstag angegeben ist, ausgestellt werden (Samstage werden nicht eingerechnet, d.h. endet die Dauer der letzten AU freitags, muss man sich am Montag der folgenden Woche erneut krankschreiben lassen). Nachträglich darf der Arzt nicht krankschreiben! Auch die Folgebescheinigungen müssen innerhalb einer Woche bei der Krankenkasse sein. Kümmert mach sich nicht um eine lückenlose Krankschreibung, verfällt der Anspruch auf Krankengeld.
Manche Arbeitgeber bieten im Falle von Krankengeldzahlung an, die Differenz zwischen dem Nettolohn und dem Krankengeld zu bezuschussen. Es lohnt sich, nachzufragen, ob das Angebot ggf. besteht.
Arbeitnehmer, privat versichert (PKV)
Ist man als Arbeitnehmer in einer privaten Krankenversicherung, bekommt man nach den sechs Wochen Entgeltfortzahlung kein Krankengeld. Es ist daher extrem wichtig, eine Krankentagegeldversicherung abzuschließen, die ab dem 43. Tag bezahlt und die monatlichen Unkosten abdeckt. Achtung: Die meisten Krankentagegeldversicherungen fordern – wie die gesetzlichen Krankenkassen auch – eine lückenlose Zusendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen!
Selbstständige, gesetzlich versichert
Als Selbstständiger kann man bei Vertragsabschluss wählen, ob man im Krankheitsfall Krankengeld von der Krankenkasse beziehen möchte oder nicht. Davon hängt dann die Höhe der Krankenkassenbeiträge ab. Dies muss vertraglich geregelt werden. Hat sich der Versicherte für die Variante mit Krankengeld entschieden, beträgt dieses 70 % des regelmäßigen Arbeitseinkommens, maximal jedoch 109,38 Euro am Tag. (Stand 2020). In den ersten sechs Wochen muss man vom Ersparten leben können. Ist dies nicht möglich, kann man auch durch Abschluss eine Wahltarifes bereits ab der vierten Krankheitswoche das Krankengeld ausbezahlt bekommen.
Auch der Abschluss einer privaten Krankentagegeldversicherung, die ggf. schon vor Ende der sechsten Krankheitswoche greift, ist denkbar. Je früher die Leistung gezahlt wird, umso teurer ist entsprechend der Versicherungstarif.
Desweitern ist zu bedenken, dass für den Abschluss einer Krankentagegeldversicherung eine Gesundheitsprüfung notwendig ist. Krankentagegeld hingegen bekommt man unabhängig davon, wie gut oder schlecht bei Abschluss des Krankenversicherungsvertrages der Gesundheitszustand war.
Selbständig, privat versichert
Es sollte unbedingt eine private Krankentagegeldversicherung abschließen, siehe „Selbständig, gesetzlich versichert“.
Beamte
Eine Krankentagegeldversicherung ist in der Regel nicht nötig, weil der Arbeitgeber die Bezüge in den meisten Fällen unbefristet weiterbezahlt. Die Frage der Dienstunfähigkeit, einer möglichen Umschulung oder Frühverrentung bei langer Arbeitsunfähigkeit und einer möglichen Dienstunfähigkeits-Versicherung für diesen Fall ist sehr kompliziert und soll hier nicht erörtert werden.
Das von der GKV gezahlte Krankengeld endet in jedem Fall mit der 78. Krankheitswoche (bzw. nach 19,5 Monaten innerhalb von drei Jahren).
Erhält man noch Lohn vom Arbeitgeber oder Arbeitslosengeld, ruht in der Zeit der Anspruch auf Krankengeldzahlung.
Bei Unklarheiten oder Ärger mit den Krankenkassen ist es sinnvoll, eine individuelle Beratung bei Sozialverbänden oder Patientenberatungsstellen (z.B. VdK) in Anspruch zu nehmen.
Nach der 78. Woche
Selbstständige oder Angestellte, die gesetzlich rentenversichert sind
Wenn man nach 78 Wochen Arbeitsunfähigkeit noch nicht arbeitsfähig ist, wird man in der Regel spätestens drei Monate vor Ende der Krankengeldzahlung von der Krankenkasse aufgefordert, eine medizinische Reha-Maßnahme zu beantragen. Die Krankenkasse lässt prüfen, ob eine Reha voraussichtlich die Arbeitsfähigkeit wiederherstellen könnte (Reha vor Rente). Wenn dies nicht möglich ist, muss ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt werden. Die Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung dauert ggf. einige Monate bis Jahre.
Daher ist es wichtig, sich spätestens drei Monate vor Ende der Krankengeldzahlungen bei der Agentur für Arbeit zu melden, um in der Wartezeit Arbeitslosengeld I zu beziehen, soweit die Voraussetzungen dafür erbracht sind. Als Sonderform gibt es die Möglichkeit, sogenanntes Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit zu beziehen, während z.B. die Deutsche Rentenversicherung den Antrag auf Erwerbsminderungsrente prüft.
Das Antragsformular und weitere notwendige Dokumente zur Beantragung der Erwerbsminderungsrente bekommt man von der Deutschen Rentenversicherung online, bzw. auf einen formlosen Antrag hin, zugeschickt. Man kann sich kostenfrei bei einer Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung oder z.B. auch beim VdK oder anderen Sozialverbänden bei den Formalitäten helfen lassen. Dies macht Sinn, da einige Unterlagen erforderlich sind und der Vorgang recht kompliziert ist.
Wenn eine medizinische oder berufliche Reha die Erwerbsfähigkeit nicht soweit wiederherstellen kann, dass der Betroffene selbst seinen Lebensunterhalt verdienen kann, wird als nächstes anhand eines oder mehrerer Gutachten beurteilt, in welchem Umfang, d.h. wie viele Stunden am Tag der Patient noch arbeiten kann. Dabei zählt nicht der zuvor ausgeübte Beruf, sondern es werden weitestgehend alle Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt als zumutbar in Betracht gezogen. Nur für diejenigen, die vor 1961 geboren sind, spielt der tatsächliche Beruf eine gewisse Rolle.
Daraus ergibt sich dann, ob man Anspruch auf Rente wegen voller (weniger als 3 Stunden täglicher Arbeitsfähigkeit) oder wegen nur teilweiser Erwerbsminderung (bei 3 bis 6 Stunden Arbeitsfähigkeit pro Tag) hat. Die Teilerwerbsminderungsrente ist halb so hoch wie der Betrag bei voller Erwerbsminderungsrente.
Die Erwerbsminderungsrente wird bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bezahlt, danach erhält man Altersruhegeld (Achtung: Dieses ist lebenslang gekürzt um bis zu 10,8 %, da man nicht bis zum Erreichen der Altersgrenze erwerbstätig war!)
Rente erhält nur, wer vor Beginn der Erwerbsminderung mindestens fünf Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, außerdem muss in den letzten fünf Jahren mindestens drei Jahre lang eine versicherte Beschäftigung (mit Zahlung von Pflichtbeiträgen) nachgewiesen sein.
Die genauen Regelungen sind kompliziert. Für eine Beratung in kniffligen Fällen lohnt sich ein persönlicher Beratungstermin z.B. beim VdK.
Bei teilweiser Erwerbsminderung wird vom Erkrankten erwartet, dass er sich durch Ausführen einer Teilzeitarbeit den Lebensunterhalt selbst sichert. Ist jedoch keine Teilzeitstelle auf dem Arbeitsmarkt zu finden, sollte gegen die Teilerwerbsunfähigkeitsrente Widerspruch eingelegt werden. Unter bestimmten Umständen kann diese dann in eine volle Erwerbsminderungsrente umgewandelt werden.
Die Grundlage für die Berechnung der Höhe der Rente (individueller Rentenanspruch) ist die Anzahl der Jahre, während der in die Rentenversicherung eingezahlt wurde, die Höhe der gezahlten Beiträge (die erzielten Entgeltpunkte) und wie lange noch bis zur regulären Altersgrenze gearbeitet werden müsste. Bei sehr jungen Erwerbsunfähigen gelten sogenannte Zurechnungszeiten, um nicht eine ganz extrem niedrige Rente zu erhalten. Auf der Renteninformation, die man jährlich von der Deutschen Rentenversicherung zugeschickt bekommt, steht auch die Höhe der zu erwartenden vollen Erwerbsminderungsrente im Fall des Falles.
Die Höhe der Erwerbsminderungsrente ist in jedem Fall nicht üppig. (Im Jahr 2017 lag die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente für Neuanträge bei 716 Euro) Auch ist zu beachten, dass ebenso wie bei der Altersrente ein individueller Abschlag einbehalten wird, wenn die Altersgrenze noch nicht erreicht ist. Dieser Abschlag beträgt maximal 10,8 %.
Oft liegt die Erwerbsminderungsrente unter dem Bedarf zur Grundsicherung. Sinnvoll ist daher auch für Versicherte in der Deutschen Rentenversicherung, rechtzeitig eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen (wenn dies möglich ist), um Versorgungslücken aufzufüllen.
Die Rentenversicherung prüft regelmäßig, ob weiterhin Anspruch auf Erwerbsminderungsrente besteht oder ob der Betroffene wieder ganz oder vermehrt erwerbsfähig ist. Dies bedeutet, dass die Erwerbsminderungsrente in der Regel primär befristet ist und ein Folgeantrag rechtzeitig (ca. sechs Monate vor Ablauf) gestellt werden muss.
Um Geld hinzu zu verdienen, dürfen Tätigkeiten den zeitlichen Rahmen (max. drei Stunden pro Tag bei voller, max. sechs Stunden bei teilweiser Erwerbsminderung) nicht überschreiten. Insgesamt dürfen bei voller Erwerbsminderung nicht mehr als 6.300 Euro pro Jahr hinzuverdient werden, sonst wird die Rente gekürzt.
Bei Teilerwerbsminderung ist das Ermitteln der Höchstgrenze komplizierter. Sie wird individuell ermittelt. Im Rentenbescheid wird der Grenzwert für die erste Zeit der teilweisen Erwerbsminderungsrente angegeben, dieser Wert verändert sich aber im Lauf der Zeit. Daher muss regelmäßig bei der Rentenversicherung nachgefragt werden, wie viel hinzuverdient werden darf, ohne Abzüge bei der Rente zu riskieren. Der Mindestbetrag dafür, wieviel man pro Jahr hinzuverdienen darf, beträgt 15.138,90 Euro (Stand 2020).
Die Berechnung der abzugsfreien individuellen Hinzuverdienst-Grenze ist sehr kompliziert. Auch hier macht eine Beratung durch die Rentenversicherung Sinn, bevor man einen Job annimmt.
Wird übrigens der Antrag auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt (das ist bei ca. 40 % der Fall), muss innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden (per Einschreiben verschicken). Dabei macht eine fachlich kompetente Hilfe Sinn. (z.B. Rechtsberatung des VdK, Anwalt für Sozialrecht).
Selbstständige oder Angestellte, die nicht gesetzlich rentenversichert sind
Bei Selbstständigen oder Angestellten ohne Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung oder z.B. bei Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk, muss der Fall der Berufsunfähigkeit durch eine private Berufsunfähigkeitsversicherung und/oder eine Alternative durch das Versorgungswerk abgedeckt sein. Auch bei den Versorgungswerken ist in der Regel mit einer langen Bearbeitungszeit und langwierigen Gutachtensvorgängen zu rechnen, wenn ein Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente gestellt wird. In vielen Verträgen greift eine Berufsunfähigkeit erst, wenn man überhaupt keine Tätigkeit mehr ausüben kann und nicht, wenn man im eigenen Beruf nicht mehr arbeitsfähig ist. Hier kann die Beratung durch einen Fachanwalt hilfreich sein.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) hingegen zahlt die Versicherungsleistungen in der Regel dann, wenn man in seinem eigenen Beruf nicht mehr arbeiten kann. Hier werden keine „Alternativvorschläge“ für mögliche noch ausübbare Tätigkeiten gemacht. Auch ist die Prüfung der Berufsunfähigkeit nicht so langwierig wie bei den Versorgungswerken. Jedoch muss man beachten, bis zu welchem Höchstalter die BU abgeschlossen worden ist – die eventuelle finanzielle Lücke bis zum Erreichen des Altersruhegeldes muss man finanziell überbrücken können.
Fazit: Freuen wir uns über jeden Tag, an dem wir noch arbeiten können!
Zusätzlich zum gesetzlichen Krankengeld ist es hilfreich, Leistungen aus einer Krankentagegeldversicherung beziehen zu können.
Zusätzlich zur Erwerbsminderungsrente machen meist die Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung das Leben leichter. Wenn der Abschluss dieser Versicherungen finanziell und aus gesundheitlichen Gründen möglich ist, sollte man sich darüber rechtzeitig Gedanken machen.
Die Fristen der diversen Anträge müssen penibel eingehalten werden. Beim Warten auf die Bearbeitung der Anträge muss man sehr viel Geduld haben.
Lassen Sie sich beraten und gehen ggf. in Widerspruch.
Dieser Artikel soll nur einen Überblick über die möglichen finanziellen Situationen im Krankheitsfall und über die Punkte, die man als Kranker beachten soll, geben. Er ersetzt keine individuelle Beratung, z.B. bei der Krankenkasse, der Deutschen Rentenversicherung, dem VdK, etc. Man sollte sich lieber einmal zu viel über seine Rechte und das korrekte Vorgehen bei einer fachkundigen Stelle informieren, als sich nachher über Leistungsausfälle zu ärgern.