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Ein Gedankenexperiment für Alphas

AutorIn

Monika Tempel, wissenschaftliche Beirätin Alpha1 Deutschland e.V.

Seit wann es existiert, weiß keiner genau. Aber eines ist gewiss: Es wird uns ab jetzt begleiten. Wie können Alphas mit dem SARS-CoV-2-Virus umgehen?

Nachvollziehbare Ängste

Auf der Website der Alpha1-Foundation finden sich u. a. folgende Aussagen zu „Alpha-1 und COVID-19“ (Übersetzung aus dem Englischen durch Monika Tempel): „Haben A1-Patienten ein höheres Risiko bei einer COVID-19-Erkrankung? Es gibt keine Beweise, auf die sich eine definitive Antwort stützen könnte, aber die Expertenmeinung unserer medizinischen und wissenschaftlichen Leitung der Alpha-1 Foundation lautet, dass Sie mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (Alpha-1) und insbesondere mit Alpha-1 mit Lungen- oder Lebererkrankungen in eine erhöhte Risikokategorie eingestuft werden…

Haben MZ-Typen ein erhöhtes Risiko bei einer COVID-19-Erkrankung? Wir haben derzeit keine Möglichkeit, das Risiko für Träger einzelner abnormaler Gene für Alpha-1 abzuschätzen…
Haben MZ-Typen mit einer diagnostizierten Lungenerkrankung ein erhöhtes Risiko bei einer COVID-19-Erkrankung? Alle Personen mit einer zugrunde liegenden Lungenerkrankung, ob MZ oder MM (normal), haben ein erhöhtes Risiko für eine schwerere Erkrankung, wenn sie eine COVID-19-Infektion bekommen…“

Kein Wunder, wenn angesichts dieser vagen Formulierungen und allgemein gehaltenen Empfehlungen Ängste bei Alphas eher geschürt als beruhigt werden. Erhöhtes Risiko – schwerere Erkrankung… das sind nicht gerade Begriffe, die dem Gehirn „Entwarnung“ signalisieren. Zu dieser speziellen Gefahren-Meldung für Alpha-1-Patienten gesellen sich die Ängste, die Alphas mit allen anderen Menschen teilen:

  • Belastungen durch Quarantäne-Maßnahmen (Eingesperrtsein, Langeweile, fehlende Struktur)
  • Existenzängste durch finanzielle Einbußen
  • Angst, sich oder andere (trotz aller Schutzmaßnahmen) anzustecken
  • Angst, geliebte Menschen durch COVID-19 zu verlieren

Diese Ängste sind nachvollziehbar. Es gilt, sie wahrzunehmen und nicht vorschnell mit dem Slogan „Krise als Chance“ beiseite zu schieben.
Vorsichtsmaßnahmen und Verhaltensänderungen müssen wohlüberlegt eingeleitet, immer wieder überprüft und an die jeweilige Situation angepasst werden. Das gilt für jeden Einzelnen und für die gesamte Gesellschaft.

Richtig genutzt und beantwortet, tragen Ängste auf diese Weise dazu bei, unser Gefühl von Sicherheit zu stärken und so unsere aufgewühlten Emotionen zu beruhigen.

Frau steht an einsamem Waldweg - Symbolbild für Angst

Wenn Ängste den Blick verengen

Leider erzeugen Ängste häufig einen Tunnelblick:

  • Die Gefahr durch das unbekannte Virus ruft Stress hervor – und bei Stress konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Gefahr.
  • Hält die Gefahr länger an, kann sich eine sogenannte Problemtrance entwickeln. Denn unser Gehirn neigt dazu, Situationen schlimmer auszumalen, als sie in Wirklichkeit sind: Unser Kopfkino spult automatisch einen Horrorfilm ab.

Wie gut, daß es nicht nur Horror-Filme gibt

Bei Filmen gibt es nicht nur ein Genre. Das Gegenstück zum Horrorfilm ist die Schnulze mit Happy End: „Versöhnung – inniger Kuss – Schwenk zur aufgehenden Sonne – Klappe“. So einfach können wir es uns in Pandemie-Zeiten jedoch nicht machen. Magisches Denken („Es wird schon wieder…“) und uneingeschränkter Optimismus („Uns wird es nicht erwischen!“) sind nicht angemessen angesichts einer realen Gefahr. Pessimismus und Weltuntergangs-Lähmung allerdings auch nicht.

Gefordert ist Widerstandsfähigkeit

Wer beim Alpha1-Infotag 2018 den Vortrag „Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen“ gehört hat, erinnert sich möglicherweise an den entsprechenden Fachbegriff: Gefordert ist Resilienz.

Diese psychische Widerstandskraft liefert die Regieanweisungen für ein realistisch optimistisches Szenario. In der Filmbranche entspricht dieses realistisch optimistische Skript am ehesten der fiktionalen Kategorie „Coming of age“ (= Entwicklungsgeschichte) oder der „Best practice“-Dokumentation (= Erfolgsrezept-Dokumentation).

Vielleicht merkst Du jetzt bereits, wie der Hase läuft: Indem Du auf dem Regiesessel Deines „Corona“-Films Platz nimmst, gewinnst Du Handlungsfähigkeit zurück. Du verlässt den Emotionsbereich der lähmenden Angststarre und begibst Dich in den Emotionsbereich der produktiven Anspannung.

Als Regisseur kannst Du die Regieanweisungen der Resilienz nutzen. Ganz gleich, ob Du Dich für eine Entwicklungsgeschichte oder für eine Erfolgsrezept-Dokumentation entscheidest, Du nutzt bei diesem Vorgehen Deine Fähigkeit, in der aktuellen Situation etwas Positives zu sehen.

Filmklappe: Film ab!

Regieanweisung 1: Fokus wahrnehmen und ggf. neu einstellen

Was Du empfindest, wird durch den Fokus Deiner Aufmerksamkeit bestimmt. Frage Dich also:

  • Worauf lenke ich gerade meine Aufmerksamkeit?
  • Welche Informationen konsumiere ich? Aus welchen Quellen stammen sie?
  • Warum tue ich das? Was macht das mit mir? Wozu führt es?
  • Welche anderen Bereiche gibt es, auf die ich meine Aufmerksamkeit lenken kann?

Regieanweisung 2: Vom Makro zum Weitwinkel wechseln

Du kennst es wahrscheinlich aus eigener Erfahrung: Bei Stress entwickelt sich rasch ein Tunnelblick. Versuche aktiv und kreativ, die Perspektive zu erweitern:

  • Suche nicht nach der EINEN perfekten Lösung, sondern sammle mindestens 7 Lösungen – auch total verrückte sind erlaubt.
  • Versuche es mit der „Paradoxen Intention“: Wie kann ich die Situation so richtig verschlimmern – bis zur Katastrophe?
  • Stelle Dir vor, wie Dein „Vorbild“ mit der Situation umgehen würde – frei nach dem Motto: „What would XY do?“

Regieanweisung 3: Das Feedback-Tagebuch einsetzen

Wer fleißig positives Feedback gesammelt hat und sich in Krisen mit diesen Stärken verbindet, kommt besser durch schwierige Zeiten. Frage Dich also:

  • Welche Fähigkeiten und Eigenschaften schätzen andere besonders an mir?
  • Wie beschreiben Menschen, die mich gut kennen, meine Kompetenzen?
  • Wie kann ich mich im Alltag an meine Stärken erinnern (z. B. durch ein Feedback-Tagebuch)?

Regieanweisung 4: Das Wetter am Set akzeptieren

Das gilt nicht nur für Regisseure bei Außendrehs: Wetter kann man nicht machen, trotzdem ist es immer da. Wende deshalb alle Techniken an, die Du im Umgang mit dem
Unabänderlichen erlernt hast. Das Grundprinzip lautet: Ich kann die Situation nicht ändern, aber ich kann meine Einstellung zu der Situation ändern.

Regieanweisung 5: Die Zauberfrage stellen

Alle Resilienz-Studien deuten darauf hin, daß es eine Zauberfrage gibt, mit deren Hilfe man die seelische Widerstandsfähigkeit nachhaltig stärken kann. Weißt Du, wie diese Zauberfrage lautet? Ganz einfach: Wofür bin ich dankbar?

Diese Frage ist auch die Grundlage für das häufig empfohlene und extrem wirksame Dankbarkeit-Tagebuch:

  • Jeden Abend mindestens 5 Dinge notieren, für die Du an diesem Tag dankbar bist.
  • Regelmäßig, aufrichtig und möglichst konkret den Menschen Danke sagen, denen Du für etwas dankbar bist.

Regieanweisung 6: Deine Heldengeschichte erzählen

Du hast es bis hierher und bis heute in Deinem Leben geschafft. Diese Geschichte kannst Du bewusst als „Heldengeschichte“ erzählen:

  • Welche Krisen habe ich gemeistert?
  • Was genau hat mich da herausgefordert?
  • Welche Stärken habe ich dadurch entwickelt?

Regieanweisung 7: Einen packenden Film-Titel finden

Hier kannst Du noch einmal exzellent üben, was Resilienz-Forscher die positive Umdeutung von Stressauslösern (= positives Re-Appraisal) nennen. Nicht zu verwechseln mit „Positivem Denken“ oder Schönreden. Positives Re-Appraisal bedeutet: in der aktuellen Situation etwas Positives entdecken und (möglichst humorvoll) benennen.

Finde also einen packenden Filmtitel für Deinen „Corona“-
Film, z. B. „Der mit dem Virus tanzt“ oder „Die Corona-Flüsterin“. Deiner Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Und dann gilt: Film ab – läuft…

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