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Monika Tempel, so erschienen im Alpha1-Journal 2/2024.

Macht Enge den Atemwegspatienten besonders Angst?

U-Bahn oder Fahrstuhl, Kino oder Kaufhaus, Bodyplethysmograph oder MRT-Röhre: Falls bereits die Nennung dieser Begriffe bei Ihnen beklemmende Gefühle auslöst, dann kann dieser Artikel interessant für Sie werden.

Klaustrophobie: die Spur der Wörter

Klaustrophobie (Raumangst) bezeichnet die Angst vor engen oder verschlossenen Räumen bzw. die Furcht vor dem tatsächlichen oder gefühlten Eingesperrtsein.

Beim Phänomen Klaustrophobie führt die Spur der Wörter bereits zu überraschenden Erkenntnissen. Claustrum (lateinisch) bedeutet Riegel, Sperre, Verschluss. Irgendjemand hat also einen Zugang bewusst verschlossen: ein Bösewicht etwa?

Durch dieses Eingesperrtsein kann Angst hochkriechen. Das deutsche Wort Angst leitet sich ab vom lateinischen Wort angustus = eng. Die Verbindung zwischen Enge und Angst zeigt sich also bereits in der Sprache. Das deutet darauf hin, dass auch im Bewusstsein der Menschen eine tiefe Verknüpfung zwischen Enge und Angst existiert.

Tatsächlich ist die Angst vor Enge ein weit verbreitetes Phänomen: Mindestens 7 Prozent der Bevölkerung leidet unter klaustrophobischen Ängsten. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Die Spur der Wörter kann aber auch in die Irre führen. Im Deutschen wird Klaustrophobie häufig mit Platzangst übersetzt. Der Fachbegriff für Platzangst lautet Agoraphobie (von lateinisch: agora = Marktplatz). Menschen, die unter Agoraphobie leiden, fürchten sich vor Orten ohne Fluchtwege oder Hilfsangebote, falls sie dort eine Panikattacke erleiden sollten.

Die Platzangst (Agoraphobie) bezieht sich in der Fachterminologie eher auf das Gegenteil der Raumangst (Klaustrophobie), obwohl gemäß der wissenschaftlichen Einteilung die Klaustrophobie unter das Krankheitsbild der Agoraphobie fällt.

Deutsche Sprache, schwere Sprache! Und dennoch: Die Spur der Wörter führt uns zumindest über die Verbindung zwischen Enge und Angst zu den möglichen Ursachen der Klaustrophobie.

Ursachenforschung zur Klaustrophobie

Für die Klaustrophobie werden psychische und körperliche Ursachen verantwortlich gemacht.

Trauma

Man muss nicht unbedingt einer älteren psychoanalytischen Erklärung folgen, die Erfahrungen vor oder während der Geburt (bedingt durch die Enge der Gebärmutterhöhle und das Eingezwängt Sein im noch engeren Geburtskanal) als Ursachen der Klaustrophobie annahmen.

Eher lässt sich eine traumatisierende Erfahrung im Lebenslauf als Ursache nachvollziehen: wenn beispielsweise jemand für längere Zeit in einem Fahrstuhl steckengeblieben ist, bei einem Unfall eingeklemmt war oder bei einem Erdbeben verschüttet wurde.

Frühkindliche Beziehungen

Übertrieben auf Sicherheit bedachte, ängstliche Eltern versuchen mitunter, ihre Kinder durch Überbehütung vor allen potenziellen Gefahren zu schützen. Damit können sie die Veranlagung zu klaustrophobischen Ängsten verstärken.

Stressbelastung

Häufig lässt sich beim Auftreten einer Klaustrophobie eine erhöhte Stressbelastung nachweisen, die entweder schon länger besteht oder die akut besonders heftig ausgeprägt ist. Bei den akuten Stressbelastungen handelt es sich oft um Verlusterlebnisse (Verlust der Gesundheit durch schwere Erkrankung oder Unfall, Verlust eines geliebten Menschen durch Trennung oder Tod, Arbeitsplatzverlust).

Genetische Veranlagung

Schließlich darf eine mögliche Ursache in dieser Aufzählung nicht fehlen: Es mehren sich die wissenschaftlichen Nachweise, dass für die Entwicklung von Angststörungen eine genetische Veranlagung mitverantwortlich ist. Eine Schlüsselrolle spielen dabei das autonome Nervensystem (Vegetative Nervensystem) und die Zentren für die Emotionsregulation im Gehirn (v. a. das limbische System).

Diese Gehirnzentren für die Emotionsregulation stehen auch bei den „Atemnot-Forschern“ im Mittelpunkt des Interesses, da sie vermutlich eine zentrale Rolle bei der emotionalen Verarbeitung von Atemnot-Erfahrungen spielen. Tatsächlich konnten Studien strukturelle Veränderungen in den Bereichen für die Emotionsregulation im Zusammenhang mit Atemnot-Erfahrungen nachweisen. Hier könnte also ein erster Hinweis darauf zu finden sein, dass Menschen mit Lungenerkrankungen (aufgrund ihrer Atemnot-Erfahrungen) tatsächlich anfälliger für klaustrophobischen Ängste sind. Diese Vermutung wird bestärkt durch den folgenden Blick auf die Auslöser einer Panikreaktion bei Enge.

Für manche von Ihnen gleichen bestimmte medizinische Untersuchungen (wie Bodyplethysmographie oder Magnetresonanztomografie) möglicherweise einem Albtraum.

Auslöser für klaustrophobische Ängste

Für manche von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gleichen bestimmte medizinische Untersuchungen (wie Bodyplethysmographie oder Magnetresonanztomografie) möglicherweise einem Albtraum. Bereits die Vorstellung, bald wieder „in die Röhre“ (d.h. in ein MRT- oder CT-Gerät) zu müssen, lässt Panikstimmung aufkommen. Und trotz allseitig durchsichtiger Kunststoffwände löst der Gedanke an die Lungenfunktions-Kabine bei manchen Patienten die bekannten Paniksymptome aus: Engegefühl in der Brust, Atemnot, Zittern, Schwitzen, Herzklopfen, Schwindeloder Schwächegefühl.

Diese Symptomauslösung, bereits durch vorweggenommene, lediglich in Gedanken vorgestellten Situationen beschreiben „Atemnot-Forscher“ auch für Atemnot bezogene Ängste. Das Phänomen beruht wohl auf sogenannten Priors: Frühere Erfahrungen (priors) erzeugen Erwartungen im Gehirn, die durch die jeweiligen Informationen ein Update erfahren. Bei Lungenerkrankungen kann so eine Verknüpfung von Atemnot-Schlüsselreizen (z.B. Treppe, Aufregung) mit subjektiver Atemnot und Atemnot-Angst erlernt werden.

Patienten mit Lungenerkrankungen kennen zumeist beides: Atemnot-Erfahrungen im Alltag und Atemnot- Erfahrungen bei medizinischen Untersuchungen oder Behandlungen. Unterstellt man zudem eine besondere Sensibilisierung des Gehirns von Lungenpatienten für Atemnot-Ängste, so liegt darin möglicherweise eine Erklärung für die Anfälligkeit für klaustrophobische Ängste.

Spekulation? Mag (noch) sein – aber vermutlich mit zunehmender Erforschung immer weniger unwahrscheinlich!

Behandlung und Prognose bei Klaustrophobie

Angststörungen (und dazu zählt die Klaustrophobie) gelten in der Regel als gut behandelbar, mit einer hohen Heilungsquote (bis zu 80 Prozent). Zur Behandlung werden Psychotherapie (v.a. Verhaltenstherapie) und Medikamente (v.a. Antidepressiva, Antipsychotika, im Notfall auch Anxiolytika) eingesetzt.

Sieht die Prognose auch für Lungenpatienten mit klaustrophobischen Ängsten so günstig aus?

Zum einen durchaus: Denn bereits das Wissen darum, dass Klaustrophobie ein weitverbreitetes Phänomen ist (auch unter Lungengesunden), kann zu einer Normalisierung beitragen.

Zum anderen entspricht das Leben von Patienten mit Lungenerkrankungen nicht durchgängig dem der „Normalbevölkerung“. Lungenkranke kennen in der Regel häufigere Atemnot-Erfahrungen als Lungengesunde und sie erleben häufigere Untersuchungs- und Behandlungssituationen in Kabinen und Röhren.

Wer also als Lungenpatient einen proaktiven Umgang mit klaustrophobischen Ängsten anstrebt, muss sich in der Regel höheren Herausforderungen stellen.

Es ist deshalb keineswegs ehrenrührig, wenn Betroffene beispielsweise vor MRT-Untersuchungen um ein leichtes Beruhigungsmittel bitten. (Sie sind damit in guter Gesellschaft: Laut einer Studie benötigen etwa 14 Prozent der Kandidaten aufgrund von Angstreaktionen eine medikamentöse Ruhigstellung vor einer MRT-Untersuchung.) Betroffene Lungenpatienten können sich alternativ um Termine in einem Zentrum mit „offenen“ MRT-Systemen bemühen, die in der Regel besser toleriert werden.

Wer sich seinen klaustrophobischen Ängsten im Alltag (also beispielsweise vor einem Kinobesuch, vor der Benutzung des Fahrstuhls oder vor der Fahrt durch einen Tunnel) stellen möchte, sollte sich die grundlegenden Prinzipien für den Umgang mit Ängsten vor Augen führen:

  • Wer vor der Angst flieht, wird von ihr eingeholt.
  • Die Möglichkeiten zur Angst-Konfrontation in einer virtuellen Realität eröffnen gerade für Lungenpatienten mit Klaustrophobie neue Perspektiven.
  • Weniger Stress bedeutet weniger Atemnot und damit in der Regel eine geringere Anfälligkeit auch für klaustrophobische Ängste. Alle Möglichkeiten zur Stressreduktion bzw. zur Entspannung sollten folglich genutzt werden.

Bei Kommentaren oder Fragen zu diesem Artikel melden Sie sich gerne bei mir.

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