Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, COPD und eine Lungentrans-plantation – Zehn Jahre voller Leid, Angst und Hoffnung
AutorIn
Hauke Frischmann
Jürgen Frischmann ist 48 Jahre alt, als er sich im Frühjahr 2010 auf den weiten Weg von Wiesbaden zur Nordseeinsel Föhr macht, um dort in Utersum eine Lungen-Rehamaßnahme zu beginnen. Noch ahnt er nichts von all dem, was in den nächsten zehn Jahren auf ihn zukommen wird und wie stark sich sein Leben schon bald verändert.
Ein Jahr zuvor nahm er noch an Sportwettkämpfen teil, ging regelmäßig ins Schwimmbad, fuhr Fahrrad und joggte durch den Wald. Dass er dabei oft nur schwer Luft bekam und auch im Alltag beim Treppensteigen schnell aus der Puste kam, nahm er zwar wahr, doch tat er es genau wie sein Pneumologe als Folge seines jahrelangen Zigarettenkonsums ab und versuchte sich, so gut es eben ging, damit zu arrangieren. Selbst die Diagnose COPD änderte vorerst nichts daran.
Schon auf der Autofahrt zur Rehaklinik verschlechtert sich sein Zustand drastisch und sein anfänglich leichter Infekt macht ihm immer mehr zu schaffen. Er ist gerade in Utersum angekommen, als er mit schwerer Atemnot zusammenbricht und die nächsten vier Tage im Krankenhaus von Wyk verbringen muss. Nach seiner Rückkehr in die Rehaklinik beschließen die Ärzte vor Ort, eine Blutprobe zu entnehmen und stellen kurz darauf die Diagnose Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, welche kurze Zeit später durch das Alpha-1-Center der Mainzer Uniklinik bestätigt wird.
Um das Voranschreiten seiner COPD – die zu diesem Zeitpunkt schon das Stadium IV erreicht hat – einzudämmen, nimmt er von nun an am Lungensport der Deutschen Patientenliga für Atemwegserkrankungen in Wiesbaden teil, befolgt konsequent seinen Medikamentenplan und informiert sich bei Informationsveranstaltungen und Selbsthilfegruppen über Neuerungen und mögliche Behandlungsmaßnahmen. Wenngleich er seine Lebensqualität dadurch ein wenig erhalten kann, verschlechtert sich sein Zustand erwartungsgemäß immer weiter, bis er sich im Jahr 2016 dazu entschließt, sich für eine Lungentransplantation listen zu lassen.
Die ersten Untersuchungen finden in der Mainzer Uniklinik statt und werden in Gießen ausgewertet. Dort erfährt Jürgen Frischmann von der Möglichkeit einer bronchoskopischen Lungenvolumenreduktion durch Ventile, welche bei schweren Emphysemen und COPD helfen können, die Überblähung der Lunge einzudämmen. Nach weiteren für diese Behandlung nötigen Untersuchungen sowie einem ausführlichen Beratungsgespräch zieht er diese Option für sich in Betracht und bekommt kurz darauf in der Thorax Klinik Heidelberg drei Ventile eingesetzt. Da sich jedoch leider selbst nach einem halben Jahr Wartezeit kein positiver Effekt einstellt, wird diese Behandlung wieder abgebrochen.
Im Jahr 2018 stellt er sich erneut in der Uniklinik von Gießen vor und durchläuft zum zweiten Mal alle umfangreichen Untersuchungen, die für eine Listung zur Lungentransplantation notwendig sind. Wenige Monate später erhält er dann endlich den ersehnten Brief, in dem er erleichtert liest: „…wir haben Sie über das Transplantationszentrum Gießen bei Eurotransplant zur Organtransplantation angemeldet …“.
Die darauffolgenden zwei Jahre sind die mit Abstand schwierigsten, die er seit dem Bekanntwerden seiner Krankheit durchleben musste. Zwar nimmt er nach wie vor aktiv an sämtlichen Angeboten und Veranstaltungen der Selbsthilfegruppen teil und ist als stellvertretender Vorsitzender der DPLA sehr engagiert, doch muss er sich aufgrund der massiven gesundheitlichen Einschränkungen immer mehr aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Da er inzwischen auf einen Rollator und immer mehr auf einen Elektro-Rollstuhl angewiesen ist, kann er sich auch nicht mehr so frei bewegen wie zuvor und ist verstärkt auf Hilfe angewiesen. Immer häufiger verbringt er aufgrund von akuter Atemnot Tage und Wochen im Krankenhaus, was ihn letztendlich auch dazu zwingt, seine Arbeitsstelle aufzugeben. Sein Bewegungsradius wird immer kleiner und seine Aktivitäten immer eingeschränkter. Mit jedem Krankenhausaufenthalt und mit jeder Verschlechterung schwindet seine Lebensfreude ein Stück mehr, doch er gibt nicht auf. Wenngleich ihm die Ausweglosigkeit seiner Situation bewusst ist und er die Hilflosigkeit dieser Krankheit immer mehr spürt, nutzt er jede Möglichkeit, um seine Situation zu verbessern und hört nicht auf, darauf zu hoffen, dass dieser eine, alles verändernde Anruf kommt.
Am Abend des 10. Juni 2020 ist es dann endlich soweit! Sein Telefon klingelt und kurz darauf befindet er sich auf dem Weg nach Gießen, wo direkt die OP-Vorbereitungen beginnen. Angst und Freude begleiten ihn bis in die frühen Morgenstunden, bevor die lang ersehnte Operation endlich beginnt. In den nächsten sieben Stunden entnehmen ihm die Ärzte seine inzwischen 58 Jahre alte Lunge und pflanzen ihm eine funktionsfähige ein. Diese Nacht wird ihm immer in Erinnerung bleiben! Ebenso der Moment, als er aus der Narkose erwacht und das erste Mal bewusst mit seiner neuen Lunge atmet.
In den ersten beiden postoperativen Tagen geht es ihm verhältnismäßig gut, doch am dritten Tag zeigen sich die ersten Komplikationen: Wassereinlagerungen in den Füßen, Diabetes und eine Lungenembolie. Eine Woche später hat er auch diese Hürden überstanden und darf die Intensivstation verlassen. In den nächsten acht Wochen beginnt er mit einer langsamen Mobilisierung und den ersten Rehabilitationsmaßnahmen, die jedoch, aufgrund seines massiven Verlustes an Muskelmasse und Gewicht, noch sehr zögerlich ablaufen. Nach insgesamt 53 Tagen darf er das Krankenhaus dann verlassen und wieder nach Hause gehen.
Wenngleich er bis heute noch nicht voll mobil ist und auch weiterhin einige Herausforderungen zu meisten haben wird, zieht er eine recht positive Bilanz:
„So, nun bin ich also transplantiert und habe das Glück, eine kostbare neue Lunge zu besitzen. Jetzt liegt es an mir, wie schnell ich mich erhole und wieder zu Kräften komme. Auf das neue Organ muss ich achten und mögliche Warnsignale erkennen. Dabei ist Therapietreue extrem wichtig, was viel Disziplin erfordert. Es war alles in allem ein langer, aber letztlich lohnender Weg.“ (Jürgen Frischmann im Oktober 2020)
Hauke Frischmann hat gemeinsam mit Jürgen Frischmann aus verschiedenen Artikeln, die in der „Luftpost“ erschienen sind, diese bewegende Schilderung zusammengetragen.
Organ- und Gewebespende ist gelebte Solidarität. Auch wenn die Auseinandersetzung mit Themen wie Krankheit und Tod für die meisten Überwindung kostet, ist eine Antwort auf die Frage, ob man Organe spenden möchte, wichtig. Für viele Menschen, die auf eine Organspende warten, entscheidet diese über Leben oder Tod. Und auch Sie selbst könnten durch einen Unfall oder eine Krankheit jederzeit in die Situation geraten, auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen zu sein. Daher ist es wichtig, dass sich möglichst viele Menschen mit diesem Thema auseinandersetzen.