AutorIn
Linda Tietz, Alpha1 Deutschland e.V., so erschienen im Alpha1-Journal 2/2017.
Ein Interview mit unserem ältesten Alpha1-Mitglied Renate Hambitzer (86)
Linda Tietz (LT): Guten Tag, liebe Frau Hambitzer. Vielen Dank, dass Sie sich heute für die Leser unseres Journals Zeit nehmen und uns an Ihrem Leben mit Alpha-1 teilhaben lassen. Im Jahr 2013 haben wir schon einmal einen Artikel von Ihnen veröffentlichen dürfen. Der Artikel von damals hat mich sehr beeindruckt. In diesem hochbetagten Alter, mit einer schweren Lungenerkrankung ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist nicht selbstverständlich. Darf ich für die Mitglieder, die Ihren ersten Beitrag nicht kennen, in der Zeit noch einmal zurückgehen und Sie zu den Anfängen Ihrer Krankheit befragen?
Renate Hambitzer (RH): Ich grüße Sie, Frau Tietz. Ja natürlich können Sie das. Seit ich ein Kind war, litt ich unter diffusen Atembeschwerden. Meine Beschwerden wurden als ein allergisches Asthma eingestuft. So gravierend waren meine Einschränkungen auch lange Zeit nicht. Ich startete ein normales Erwachsenenleben. Ab dem 50. Lebensjahr bekam ich dann Probleme. Sobald ich mich mehr als normal anstrengte, etwa beim Radfahren oder Tennisspielen, litt ich unter Atemnot. Ich war sehr oft erkältet und hatte immer das Gefühl: die Luft ist knapp. Im Jahr 2000 erhielt ich endlich Klarheit: Alpha-1-Antitrypsinmangel, PiZZ, diagnostiziert durch einen Lungenarzt.
LT: Wie stark hat die Diagnose Ihr Leben verändert? Nach 70 Jahren Ungewissheit war das sicher eine Erleichterung, endlich zu wissen, was die Ursache der jahrzehntelangen Beschwerden ist?
RH: Nein. Das Gegenteil ist der Fall. Für mich war die Diagnose eher ein Schock. Ich begann mich ausführlich über die Krankheit zu informieren. Das Wissen um die Schwere dieser progressiven Erkrankung war und ist eine starke seelische Belastung. Dazu kam, dass ich für die wöchentliche Substitution mit Prolastin anfangs stundenlange Fahrten nach Erlangen auf mich nehmen musste, bis mein Hausarzt in meiner Nähe vor sieben Jahren begann, die Behandlung durchzuführen. Bis vor einem Jahr bin ich noch selber mit dem Auto zu den Substitutionen gefahren. Nun kümmert sich ein ehrenamtlicher Helfer aus einem nahegelegenen Hospiz um meinen wöchentlichen Krankentransport.
LT: Ich dachte, es ist möglich, dass eine Behandlung mit Prolastin unter schwierigen Lebensbedingungen auch zu Hause möglich ist?
RH: Das ist meines Wissens nur in einigen Bundesländern möglich. In Berlin zum Beispiel. Hier in Bayern ist das leider nicht der Fall. Das ist sehr schade, denn diese Fahrten sind sehr anstrengend für mich und kosten jede Menge Kraft.
LT: Unter diesen erschwerten Bedingungen ist es sicher von Vorteil, nicht allein zu sein und einen Partner an seiner Seite zu wissen, der eine gefühlte Ewigkeit an guten und schlechten Tagen Beistand leistet?
RH: Wissen Sie, mein Mann und ich stellen eine besondere Schicksalsgemeinschaft dar. Mit 24 Jahren lernte ich ihn kennen. Damals arbeitete ich als Krankengymnastin in einem Rehabilitationszentrum für Kriegsverwundete in meinem Heimatort. Mein Mann war dort Patient. Damals verlor er mit gerade mal 18 Jahren im Krieg beide Hände. Aus der beruflichen Fürsorge entwickelte sich eine Liebe, die seit 60 Jahren hält. Handreichungen für meinen Mann gehörten von Anfang an in unserem Ehealltag dazu. Auch er leidet unter Atembeschwerden. Dies ist aber einer COPD geschuldet. Leider kann ich ihm nicht mehr so helfen wie noch vor fünf Jahren.
Wir stützen uns gegenseitig. Oftmals stillschweigend. Wir sind beide gleichartige Individualisten, haben aber unterschiedliche Vorstellungen von seelischer Festigkeit. Es ist beruhigend zu wissen, da ist jemand, der Bescheid weiß und einem Mut macht.
Der Antrieb nicht aufzugeben ist stärker, wenn man einen Partner an der Seite hat, der einen braucht und für den man sich einsetzt. Ich glaube, das ist unser (Über-)Lebensrezept. Wir beide halten uns gegenseitig am Laufen, auch wenn das Tag für Tag schwerer fällt.
LT: Sie wohnen beide gemeinsam in Ihrem eigenen Haus. Wer kümmert sich täglich um die Dinge, die nicht mehr so leicht von Ihnen beiden erledigt werden können?
RH: Die Hilfe musste wachsen mit den Jahren. Wir haben einiges ausprobiert, was uns den Alltag erleichtert. Momentan kommt zweimal täglich der Pflegedienst vom DRK. Dieser kümmert sich um alles, was meinen Mann betrifft. Ich selbst nehme seit kurzem zweimal wöchentlich eine Haushalts- und Einkaufshilfe in Anspruch. Somit sind unsere Tage genau durchgeplant. Alles braucht nun seine Zeit. Jeder Tag hat einen anderen Schwerpunkt. Heute ist zum Beispiel Hausputz. Das war anfangs gar nicht so leicht für mich, diese Aufgabe aus den Händen zu geben. Das Gleiche gilt für die Mittagsversorgung. Mein Mann und ich sind meine Kochkünste gewöhnt. Unser Versuch, „Essen auf Rädern“ in unser Leben zu integrieren, scheiterte kläglich an unseren festen kulinarischen Gewohnheiten. Ich versuche selber zu kochen, solange es nur geht. Da der Appetit mehr und mehr nachlässt, sind es nur noch kleinere, leichtere Speisen, die ich zubereite.
LT: Welche Erfahrungen haben Sie mit Pflege zu Hause? Es ist sicher schwierig, das passende zu finden und sicher noch schwieriger, sich damit wohl zu fühlen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, die bis vor einiger Zeit noch gar nicht notwendig war.
RH: Wir hatten vor zwei Jahren im Sommer eine durchgängige Pflegekraft im Haus. Die junge Frau aus Polen kümmerte sich sehr gewissenhaft um uns. Wir waren sehr zufrieden, zumal sich auch ein vertrauensvolles Verhältnis aufbaute und wir uns sicher fühlten. Nach einigen Monaten musste uns die junge Frau wieder verlassen und wir versuchten abermals dieses Konzept der innewohnenden Pflegekraft. Da hat es menschlich aber gar nicht funktioniert, so dass wir zum herkömmlichen, täglichen Pflegedienst wechselten. Das hat den Nachteil, sich jedes Mal auf einen neuen Menschen einstellen zu müssen.
Sicher ist eine Einrichtung irgendwann unumgänglich. Ich bin aber davon überzeugt, dass es in solch einer Einrichtung sehr schnell zum körperlichen und seelischen Abbau kommen würde. Unser Haus und unser gemeinsames Leben – das ist eine tägliche Herausforderung, der sich mein Mann und ich täglich auf´s Neue stellen müssen. Es ist anstrengend und manchmal auch sehr belastend – aber es fordert uns heraus und genau das hält uns aufrecht. Wir kämpfen um unsere Unabhängigkeit und genießen jeden Tag, den wir da verbringen können, wo sich unser Leben eingerichtet hat und wo wir zu Hause sind.
LT: Liebe Frau Hambitzer, das waren viele interessante Aussagen und Einblicke, die Sie unseren Lesern heute gegeben haben. Lesen Sie regelmäßig unser Journal? Haben Sie Wünsche oder Anregungen für uns?
RH: Ich lese sehr gerne das Alpha1-Journal. Tatsächlich habe ich Anregungen: Meiner Meinung nach nehmen die Studien in der letzten Zeit viel Raum in der Berichterstattung ein. Meine Altersgruppe wird zukünftig nicht viel von den Ergebnissen und den daraus resultierenden Fortschritten haben. Zweifelsohne ist das alles sehr wichtig für die junge Generation an Mitgliedern, doch was ist mit den Älteren?
Wir beschäftigen uns mit ganz anderen Themen. Dazu gehört auch der nahende Tod und alle Gedanken, die damit verbunden sind, wie zum Beispiel Religion oder auch Ängste. Wie kann in der Zeit wachsender (Todes-)Ängste gegengesteuert werden? Manchmal helfen keine psychologischen Gespräche mehr, da muss auch medikamentös reguliert werden. Mir persönlich fehlt die Thematisierung dieses unausweichlichen Fakts. Auch mit Lungensport können wir Älteren nicht mehr viel anfangen. Leider muss ich all diese Seiten im Journal immer überblättern. Vielleicht gibt es zukünftig ja die Möglichkeit, auch die altgewordenen Mitglieder mit Beiträgen zu versorgen, die mit ihren Sorgen und Nöten thematisch besser korrespondieren.
LT: Vielen Dank, Frau Hambitzer, das war ein sehr berührendes und aufschlussreiches Gespräch mit Ihnen. Halten Sie weiterhin so zusammen und geben Sie sich die Kraft zum Weitermachen!