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Zusammenfassung: Prof. Gratiana Steinkamp, so erschienen im Alpha1-Journal 1/2023.
Der Begriff körperliche Aktivität beschreibt, was man konkret am Tag tut. Unter Kapazität verstehen Mediziner das, was man in der Lage ist zu tun oder was man körperlich schaffen könnte. Das bedeutet nicht, dass man das dann auch tatsächlich macht. Klar ist, dass viel Aktivität zu einer besseren Kapazität führt. Mit einer medizinischen Rehabilitation soll die Kapazität langfristig verbessert werden. Bei sich selbst eine gute Kapazität zu erhalten ist eine Lebensaufgabe für jeden Menschen und besonders für chronisch Kranke.
Einfluss von Bewegung auf Gesundheit und Krankheit
Wie schnell sich mangelnde körperliche Aktivität auf die Kapazität auswirkt, merkt man, wenn man krankheitsbedingt einige Tage im Bett verbringen musste. Steht man danach zum ersten Mal wieder auf, spürt man wackelige Beine. Man hat durch das Liegen Muskelmasse verloren. Bei schweren Erkrankungen können pro Tag bis zu 1 kg Muskulatur abgebaut werden. Angesichts dessen, dass Frauen durchschnittlich etwa 30 kg und Männer um 35 kg Muskulatur am Körper haben, sind 1 kg ein beträchtlicher Anteil. Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass es eine Weile dauern kann, bis man sein vorheriges Leistungsniveau wiedererlangt hat.
In der Evolution hat sich der Mensch zwar vom Denken her und durch seine Erfindungen immer weiterentwickelt. Das Ausmaß der körperlichen Bewegung nahm jedoch drastisch ab: während Steinzeit-Menschen pro Tag Strecken von rund 30 km zurücklegten, waren es im 19. Jahrhundert nur noch etwa 15 km pro Tag. Heutzutage wird die meiste Zeit im Sitzen verbracht, und viele Menschen gehen täglich nur noch 1 km zu Fuß.
Als Bewegungsziel empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO zweieinhalb Stunden körperliche Aktivität pro Woche. In ihrem Bericht vom Oktober 2022 führt die WHO aus, wie häufig körperliche Inaktivität geworden ist. Etwa 80 Prozent der Jugendlichen und 60 Prozent der über 70-Jährigen bewegen sich zu wenig; bei den übrigen Erwachsenen sieht es mit 60 Prozent etwas günstiger aus. Deutschland schneidet schlechter ab als seine Nachbarn. In ärmeren Ländern der Welt ist Bewegungsmangel ein viel selteneres Problem als in den reichen. Zudem sank durch die Corona- Pandemie die tägliche Schrittzahl durchschnittlich um ein Drittel. Auch damit hat die Pandemie einen gesundheitlichen Schaden gesetzt.

Welch große Rolle körperliche Aktivität für die langfristige Gesundheit spielt, belegt eine britische Studie mit 80.000 Teilnehmern. Deren tägliche Schrittzahl wurde zu Beginn mithilfe eines zuverlässigen Bewegungsarmbands (Akzelerometer) über sieben Tage fortlaufend registriert. Sieben Jahre später werteten die Forscher aus, wie viele Personen seit Studienbeginn verstorben waren und welche Todesursache dokumentiert war. Es zeigte sich ein klarer Zusammenhang zwischen Sterblichkeit mit Zahl der täglichen Schritte: je mehr Schritte zurückgelegt worden waren, desto geringer war die spätere Sterblichkeit. Dies galt für täglich bis zu 10.000 Schritte; danach blieb die Gesamtsterblichkeit etwa gleich. Hohe Aktivität verringerte sowohl die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf- als auch an Krebserkrankungen. Auch für die Alzheimer-Demenz wurde ein schützender Effekt von viel Bewegung nachgewiesen.
Bewegung messen
Der erste Schrittzähler wurde 1964 in Japan entwickelt. Schon damals wurden 10.000 Schritte pro Tag empfohlen. Heutzutage gibt es weitere Möglichkeiten, Bewegung zu messen. In den meisten Handys sind Schrittzähler eingebaut. Allerdings können sie die Aktivität nur dann vollständig erfassen, wenn man das Telefon ständig am Körper trägt. Aussagekräftiger sind daher Fitness-Armbänder oder -Uhren. Mithilfe der zurückgelegten Schritte legen Mediziner das Level der Aktivität fest; wer weniger als 5.000 Schritte pro Tag macht, wird als „inaktiv“ bezeichnet.
Zu mehr Bewegung motivieren kann man sich, indem man sich klare Ziele setzt. Zum Beispiel, dass man sich wieder alleine anziehen oder sein früheres Hobby ausüben kann, oder dass die Kleidung wieder besser passt. Ein eigener Hund ist ein guter Motivator, mehrmals täglich das Haus zu verlassen und spazieren zu gehen. Viele Senioren kümmern sich auch um ihre Enkel und sind dabei körperlich aktiver als alleine. Sich beim Lungensport anmelden und mit anderen gemeinsam trainieren, bringt ebenfalls mehr Aktivität in den Alltag. Jeder Mensch sollte das tun, was ihm Freude macht und was für ihn gut ist. Ein Trainingskonzept muss sich an den Bedürfnissen der Person orientieren und mit ihr individuell abgestimmt sein.
Rehabilitation
Ein Reha-Programm beinhaltet mehrere unterschiedliche Facetten. Davon ist das Trainieren von Ausdauer und Kraft nur ein Aspekt. Experten aus verschiedenen Berufsgruppen arbeiten mit ihren Patienten in den Bereichen Physiotherapie, Entspannung, Schulung, seelische Gesundheit, Ernährung und Ergotherapie. In der Reha-Klinik erfolgt außerdem eine umfassende Diagnostik, um die aktuelle Situation des Patienten zu dokumentieren. Ärzte und Therapeuten optimieren auch die Medikation oder die Sauerstofftherapie.
Die Indikationen für eine Lungen-Reha wurden vor 10 Jahren in Leitlinien festgelegt. Dazu gehören chronische Beschwerden wie Atemnot oder verminderte Belastbarkeit, aber auch eine reduzierte Lebensqualität oder psychosoziale Problemlagen, die infolge der Lungenkrankheit auftreten können.
Es wurden in manchen wissenschaftlich begleiteten Reha- Programmen Gewebeproben aus der Muskulatur untersucht. Dabei zeigt sich, dass nicht nur die Masse der Muskelzellen verringert ist. Das kann einen Einfluss auf die Funktion der Muskelfasern haben. Speziell bei AATM scheint es nicht einfach zu sein, durch Training die Muskelfasern vom Typ I zu vermehren, die für die Ausdauer zuständig sind. Größere Effekte hat die Rehabilitation auf die Typ IIA-Muskelfasern, die die Muskelkraft vermitteln. Forscher fanden in Studien Unterschiede im Ansprechen von COPD- und von Alpha1-Patienten, sodass man womöglich die Gegebenheiten des Trainings genauer anpassen muss. Ein individuell abgestimmtes Trainingsprogramm kann überzeugende und nachhaltige Wirkung zeigen, wie das Fallbeispiel eines Patienten illustrierte. Wichtig ist, nach der Reha weiterhin körperlich aktiv zu bleiben, damit das Erreichte nicht bald wieder verloren geht. Im Alltag wenig sitzen, wenig liegen, mehr in Bewegung sein ist gut für die Gesundheit.
„Speziell für COPD-Patienten wurde die KAIA COPD App entwickelt, die auf dem Smartphone oder Tablet läuft.“
Digitale Gesundheitsanwendungen, DiGA Speziell für COPD-Patienten wurde die KAIA COPD App entwickelt, die auf dem Smartphone oder Tablet läuft. Sie wurde vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als DiGA anerkannt und kann vom Hausarzt verschrieben werden. Mit dem Rezept wendet man sich an die Krankenkasse und erhält von dort einen QR-Code. Damit schaltet man die aus dem Internet heruntergeladene App als Nutzer frei. Das gilt für jeweils drei Monate und muss im folgenden Quartal erneuert werden.
Die KAIA COPD App hat drei Säulen: körperliches Training, Atemtechniken und Informationen. Während man trainiert, kann man sich von der Kamera des Handys aufnehmen lassen. Die programmierte Künstliche Intelligenz erkennt, ob die Übung korrekt ausgeführt wird, und meldet sich ggf. mit Empfehlungen zurück. Das funktioniert ähnlich gut wie in Anwesenheit eines Sporttherapeuten. Mit diagnostischen Tests wie dem Aufsteh-Test oder dem Zehenreichweite-Test erfasst die App zu Beginn die Leistungsfähigkeit des Trainierenden.
In einer Studie wurde die KAIA COPD App an Patienten geprüft, die aus der pulmonalen Rehabilitation nach Hause entlassen wurden. Wenn sie die App über ein halbes Jahr anwendeten, konnten sie zu Hause die Schrittzahl vom Ende der Reha aufrechterhalten. Dagegen fiel in einer Kontrollgruppe die Schrittzahl nach 6 Monaten von 5.000 auf 3.100 Schritte pro Tag deutlich ab. Diejenigen Patienten, die die App mindestens viermal pro Woche benutzt hatten, konnten ihre Schrittzahl sogar um zusätzliche 1.000 Schritte pro Tag steigern. Die Gruppe der App-Nutzer zeigte außerdem eine stabile gesundheitsbezogene Lebensqualität, während die übrigen Patienten eine Verschlechterung erfuhren. Somit kann die KAIA COPD App nachgewiesenermaßen dazu beitragen, die guten Effekte einer Reha über 6 Monate aufrechtzuerhalten. Mit der digitalen COPD-Therapie durch die Smartphone-App hat man im Alltag einen nützlichen Gesundheitsbegleiter.
Telemedizin
In den USA wurde ein telemedizinisches Reha-Konzept für COPD-Patienten entwickelt. Dort vermittelt das Smartphone den Kontakt zwischen Patient auf der einen und Arzt bzw. Physiotherapeut auf der anderen Seite. Die Übungen des Patienten einschließlich Geräte-Training werden direkt vom Therapeuten beobachtet und kommentiert.
Der Nutzen dieses Programms wurde bei 80 COPD-Patienten geprüft, die wegen einer Exazerbation stationär aufgenommen worden waren. Nach der Entlassung sollten mit drei Telemedizin-Terminen pro Woche weitere Exazerbationen verhindert werden. In den ersten 30 Tagen nach Entlassung kam es bei einer Kontrollgruppe zu 18 % erneuten stationären Behandlungen, während dies unter telemedizinischem Training nur bei 6 % der Teilnehmer nötig war. Auch hier wurde die Gesundheit lungenkranker Menschen durch Nutzung moderner digitaler Techniken stabilisiert. In Deutschland wurde mit PneumoFactory ein entsprechendes Programm konzipiert.
Am Ende sollte jedes Reha-Programm individuell auf den Betroffenen zugeschnitten werden. Ärzte und Therapeuten schlagen die Maßnahmen vor, und der Patient entscheidet, was für ihn passt. Selbst wenn die COPD-Medikamente immer wirksamer werden, leisten die nicht-medikamentösen Verfahren weiterhin einen relevanten Beitrag. Apps und Telemedizin sind neue Bausteine, die der Patient in sein individuelles Programm aufnehmen kann.