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Bericht vom 3. Alpha-1 Patiententag an der Thorax-Klinik Heidelberg

Dr.-Ing. Heinz Stutzenberger

  1. Vorsitzender Alpha1-Deutschland e.V.

Am 09.03.2024 fand der 3. Patiententag an der Thorax-Klinik Heidelberg statt, organisiert und durchgeführt von Frau Prof. Dr. Franziska Trudzinski. Sie ist Oberärztin in der Abteilung Pneumologie und Beatmungsmedizin, die stellvertretende Leiterin der Allgemeinen Interdisziplinären Ambulanz und seit einiger Zeit ein großer Zugewinn der Alpha-1-Gemeinde als wissenschaftliche Beirätin für den Bereich Lunge, Bildgebung und Gendermedizin bei Alpha1-Deutschland e.V. Zusammen mit dem Leiter der Selbsthilfegruppe Rhein-Neckar-Odenwald, Carsten Büch, und unserer Vorsitzenden Marion Wilkens begrüßte sie alle Teilnehmenden und dankte den Sponsoren der Veranstaltung, nämlich den Firmen CSL Behring und Grifols, und den beteiligten Mitarbeitenden der Thorax-Klinik.

Nahtlos an die Begrüßung schloß sich der Vortrag von Prof. Dr. Dr. Markus Ries an, einem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und u.a. Arbeitsgruppenleiter für die Entwicklung von Medikamenten für seltene Erkrankungen an der Universitätsklinik Heidelberg. Sein Vortrag befasste sich mit der Frage, wie Arzneimittel für seltene Krankheiten entwickelt werden. Auch diese müssen die üblichen 3 Phasen der Medikamentenfreigabe durchlaufen (siehe dazu auch Aufsatz „Phasen der Arzneimittelzulassung“ im Alpha1-Journal 1/2022 bzw. im Internetauftritt von Alpha1 Deutschland), sind aber dabei mit einigen zusätzlichen Hindernissen konfrontiert: es gibt üblicherweise wenig Probandinnen und Probanden, der Krankheitsverlauf ist oft nicht gut untersucht und das Krankheitsbild ist sehr heterogen, es gibt keine repräsentativen Tiermodelle, die Fragebögen zur Erfassung der Lebensqualität sind oft nur eingeschränkt übertragbar und die Suche nach Studienärztinnen und Studienärzten ist schwierig – großenteils Probleme, die Alphas bekannt vorkommen. Dem muss im Bereich seltener Krankheit begegnet werden mit einem sehr gut durchdachten Erprobungsablauf, mit einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit aller Beteiligten einschließlich der Patientinnen und Patienten, und unter Zuhilfenahme qualifizierter Prüfzentren, die sich auf die Erprobung seltener Medikamente verstehen. Der Aufwand für eine klinische Erprobung ist enorm, und viele Anläufe sind vergeblich: von 10.000 Substanzen in der Grundlagenforschung schaffen es etwa 250 in eine vorklinische Prüfung, etwa 5 werden klinisch erprobt und aus einem davon wird ein marktfähiges Medikament. Historisch belegt sind Entwicklungen, bei denen es 30 Jahre gedauert hat, bis aus einem Forschungsansatz ein nutzbares Medikament geworden ist. Trotz all dieser Probleme werden auch im Bereich der seltenen Erkrankungen nur solche Medikamente zugelassen, deren Sicherheit vor unerwünschten Nebenwirkungen und Wirksamkeit im Hinblick auf die Verbesserung des Gesundheitszustandes nachgewiesen sind. Wenn der damit verbundene Aufwand auf nur wenige (seltene!) Patientinnen und Patienten verteilt werden muss, hilft es den Herstellern, dass ihr Medikament zumindest ein paar Jahre vor preisgünstigeren Nachahmern geschützt ist; teilweise wird die Medikamentenentwicklung auch von nationalen oder europäischen Institutionen gefördert.

Im Anschluss an den Vortrag von Prof. Ries gaben Marion Wilkens und Carsten Büch einige Informationen zu unserem Verein weiter, zusammen mit Hinweisen auf die kostenlosen(!) Leistungen, die eine Mitgliedschaft bietet. Dazu gehört auch ein wöchentlicher Kurs zum Thema Gedächtnistraining, unter dem sich viele Zuhörende aber nicht wirklich etwas vorstellen konnten. Diese Gelegenheit ergriff dann Carsten Büch, indem er spontan einen Aspekt dieses Trainings aufgriff und eine Wortfindungsübung durch die Reihen der Teilnehmenden schickte, und aus der erkennbar wurde, dass es sich bei diesem Training keinesfalls um eine todernste Angelegenheit handelt, sondern ganz im Gegenteil, die Beteiligten hatten erkennbar großen Spaß dabei.

Daran anschließend gab es dann bei strahlendem Sonnenschein und vorfrühlingshafter Temperatur einen Spaziergang durch den „Atemweg“ der Thorax-Klinik. Dabei handelt es sich um einen Rundweg im großzügigen Park der Klinik, in dem mehrere Stationen aufgebaut sind, an denen die Patientinnen und Patienten eigenständig Bewegungs-, Koordinations- und Kreislaufübungen durchführen können, welche auch von den Teilnehmenden am Patiententag eifrig genutzt wurden. Regelrechte Begeisterung löste dabei aus, dass zur Ausstattung auch ein Kicker gehört. Spontan gründeten sich 2 Mixed-Mannschaften, bestehend aus je einem ärztlichen und nicht-ärztlichen Mitglied, und nachdem das Gerät zwar nicht durch Münzeinwurf, aber durch leichte Fausthiebe dazu gebracht werden konnte, die benötigten Bälle auszugeben, startete das Spiel. Es endete mit dem Stand 5:1 für das blaue Team, wobei das rote allerdings durch einen fußlahmen linken Verteidiger gehandicapt war. Danach schlenderten die Teilnehmenden, vertieft in Fachgespräche, Erfahrungsaustausch oder auch dem Austausch privater Themen zurück ins Tagungsgebäude zum Mittagsimbiss.

Anschließend wurde wieder gearbeitet: Frau Prof. Trudzinski trug vor zum Thema Neue Therapieoptionen für Alpha-1-Antitrypsinmangel – was ist in der Pipeline? Als am weitesten in der klinischen Erprobung vorangekommenes Medikament wurde Fazirsiran genannt, welches die Erzeugung missgefalteten Alpha-1-Antitrypsins (AAT) in der Leber großteils verhindert. Dadurch wird die Polymerisation von AAT in der Leber vermindert, die Einlagerung großer Agglomerate vermieden, und bereits eingelagertes AAT kann sogar abgebaut werden, so dass sich die Leber günstigstenfalls nahezu vollständig regeneriert. Das Präparat wirkt auf eine Kopie eines Teilstranges des Erbgutes ein und verhindert dadurch, dass dieses bei der Produktion von Alpha-1-Antitrypsin als „Kopiervorlage“ genutzt wird.

Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist rekombinantes AAT, das nicht mehr aus menschlichem Plasma gewonnen wird, sondern auf biochemischem Weg. Da dieses AAT stabiler ist als das menschliche AAT und deshalb langsamer vom Körper abgebaut wird, würde die intravenöse Zufuhr desselben in wesentlich längeren Intervallen notwendig werden, z.B. nur alle 3 Wochen (im Gegensatz zur aktuellen Augmentation mit wöchentlicher Infusion).

Als Bewertungsmaßstab für die positive Wirkung der medikamentösen Behandlung der Lunge löst die Lungendichtemessung mittels Computertomografie (CT) gerade die Messung von schwer reproduzierbaren Lungenfunktionswerten wie z.B. FEV1 ab, zumindest in der klinischen Erprobung.

Weitere Therapieansätze könnten sich durch die Auswertung von Großen Datenbanken ergeben, wie z.B. derjenigen von EARCO (= European Alpha-1 Research Kollaboration = Europäische Alpha-1 Forschungszusammenarbeit), die mittlerweile 1300 Datensätze von Alpha-1-Patienten umfasst, und mit deren Hilfe die Wirksamkeit der Augmentation nachgewiesen werden konnte, indem die Überlebensdauer von Probanden aus Ländern mit und ohne diese Therapie verglichen wurden. Leider ist der deutsche Beitrag in diese Datenbank zur Zeit noch gering, aber er könnte in Zukunft steigen, und Prof. Trudzinski rief die Anwesenden auf, sich nach Möglichkeit über ihre behandelnde Arztpraxis dort aufnehmen zu lassen (wofür diese allerdings eine besondere Qualifikation benötigt).

In einer geschlechtsspezifischen Untersuchung von Alphas aus dem EARCO-Register konnte nachgewiesen werden, dass betroffene Frauen seltener unter COPD und Leberproblemen leiden als Männer, eventuell begründet durch einen gesünderen Lebensstil. Symptombelastung und das Risiko von Exazerbationen sind aber gleich.

Ebenfalls noch in einem frühen Forschungsstadium befindet sich die Suche nach Biomarkern, also im Blut zirkulierenden Stoffen, deren Konzentration eine treffsichere Prognose über den zu erwartenden Krankheitsverlauf geben könnte.

Wichtig für den Erfolg bei der Suche nach neuen Therapieansätzen ist die übergreifende Zusammenarbeit der verschiedensten beteiligten Disziplinen, also der klinischen Ärzteschaft, der Grundlagen- und Anwendungsforschenden und nicht zuletzt auch der Patientinnen und Patienten.

Den letzten Vortrag des Tages hielt Marion Wilkens zur Frage, warum es wichtig ist, dass Alpha-1-Patientinnen und -Patienten an Studien teilnehmen. Für Alphas sind zwei Arten von Studien von Bedeutung: zum einen Registerstudien (wie z.B. EARCO, siehe oben), bei denen Informationen zu Diagnosen, Behandlungen, Krankheitsverlauf usw. gesammelt werden, die dann zur anonymisierten Auswertung zur Verfügung stehen. Dies ermöglicht Forschern, auf Basis einer Vielzahl von Fällen Zusammenhänge zu erkennen, die dann wieder den Patientinnen und Patienten zu Gute kommen. Aufrufe zur Teilnahme an kleineren Studien stehen öfters auf der Homepage unseres Vereins, Einträge in die EARCO-Datenbank werden von dazu qualifizierten Ärzten vorgenommen.

Wesentlich aufwändiger ist die Teilnahme an klinischen Studien, im Normalfall in der Phase 3 der klinischen Erprobung, wo ein neues Medikament typischerweise in einem kontrollierten Versuch im Vergleich zu einem Placebo hinsichtlich seiner Wirksamkeit erprobt wird. Dem nicht zu leugnenden Risiko stehen eine Fülle von Vorteilen gegenüber, z.B. die intensive Information zu neuen Behandlungsmöglichkeiten, eine umfassende medizinische Beratung inkl. einer Fülle von Mess- und Laborwerten, die außerhalb von Studien gar nicht erhoben werden, und natürlich die Chance, von einem neuartigen Medikament zu profitieren. Allerdings sollte man sich nicht zur Teilnahme überreden lassen, sondern sich umfassend informieren und dann entscheiden (wobei man jederzeit wieder aus einer Studie aussteigen kann, wenn man sich darin unwohl fühlt). Auch kann es geschehen, dass man als Teilnehmender an einer Studie das neue Medikament gar nicht erhält, nämlich dann, wenn man der Placebo-Gruppe zugeordnet wird (was man frühestens am Ende der Studie erfährt).

Alle ihre Ausführungen fasste Frau Wilkens zusammen in einem kurzen Satz: Ohne die Teilnahme von Alphas an Studien wird es keine Heilung geben können.

Damit näherte sich der offizielle Teil eines sehr informativen und darüber hinaus noch außerordentlich unterhaltsamen Patiententags seinem Ende, allerdings nicht ohne dass Carsten Büch seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass beim nächsten Patiententag in 2025 die Zielmarke von 50 Teilnehmenden übertroffen wird, woran kaum Zweifel bestehen, wenn die Teilnehmenden aus 2024 ihre überaus positiven Erfahrungen an ihre Bekannten aus dem Verein weitergeben.

Ganz zum Abschluß gab es noch ein Gruppenfoto vor dem Rohrbacher Schlösschen, einem ehemaligen Jagdsitz im neoklassizistischen Stil auf dem Klinikgelände, zu dem auch der bereits erwähnte Park gehörte. Es dauerte aber noch eine ganze Weile, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch in Gespräche miteinander und mit den anwesenden Ärztinnen und Ärzten und Vortragenden vertieft waren, bis sich die Veranstaltung dann vollends aufgelöst hatte.   

 

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