AutorIn
Dr. Paul Köbler, so erschienen im Alpha1-Journal 1/2024.
Studien, die das Thema Alpha-1 und Psyche betreffen, beschreiben, dass
- es aufgrund von geringerer Belastbarkeit eine Auseinandersetzung mit den Einschränkungen im Alltag gibt
- es durch den unvorhersagbaren Krankheitsverlauf zu Ängsten bezüglich der Zukunft kommen kann
- finanzielle Probleme wegen einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit möglich sind
- der lange Leidensweg bis zur häufig späten Diagnose zermürben kann
- die Sorge um die genetische Weitergabe besteht. Fast alle chronischen Erkrankungen haben auf die Lebensqualität einen ungünstigen Einfluss. Dieser Zusammenhang ist aber nicht linear mit der Krankheitsschwere zusammenhängend, sondern vermittelt über die psychische Belastung. So ist es nicht zwangsläufig so, dass eine schwere Erkrankung unmittelbar zu schlechterer Lebensqualität führen muss. Entscheidend ist die psychische Reaktion, also die Art und Weise, wie mit der Erkrankung umgegangen wird.

Für den Umgang mit Betroffenen und für die Therapieoptionen bedeutet das, dass psychische Erkrankungen mitbedacht, beobachtet und behandelt werden müssen, da der Einfluss von psychischen Belastungen sehr hoch sein kann. Eine besondere Bedeutung liegt für die Therapeuten deshalb darauf, psychische Erkrankungen ernst zu nehmen. Die häufigsten psychischen Erkrankungen stellen dabei affektive Störungen, vor allem Depressionen, und Angsterkrankungen dar.
Wann spricht man von einer Depression?
Wenn eine mind. zwei Wochen anhaltende Phase mit
- intensiver gedrückter Stimmung, negativem Denken, Freudenverlust
- deutlichem Interessenverlust starkem Antriebsverlust, Erschöpfbarkeit vorliegt, wobei hier mind. zwei der drei Punkte erfüllt sein müssen. Weitere, die Depression erschwerende Nebensymptome sind gedrückter Selbstwert, Schuldgefühle, Schlaf- oder Appetitprobleme, negatives Gedankenkreisen, Lebensmüdigkeit.
Wann spricht man von einer Angsterkrankung?
- Übersteigerte Angstreaktion in einer Situation, die schon ängstigend ist.
- Unbegründete Angst gegenüber Situationen, die den meisten anderen keine Angst machen würden, häufig gekennzeichnet durch körperliche Reaktionen, wie z.B. Herzrasen, Atemnot, Zittern, Schwitzen.
- Häufig sehr einschränkend im Alltag durch Vermeidungsverhalten und intensive Beschäftigung mit Ängsten.
- Häufige Formen von Angsterkrankungen: Panikattacken, Phobien, generalisierte Ängste.
Die Vermeidung von ängstigenden Situationen kann dazu führen, dass ein Teufelskreis entsteht. Je öfter man sich nicht damit auseinandersetzt, umso mehr können Angststörungen chronifizieren.
Beide psychischen Krankheitsbilder (Depressionen und Angsterkrankungen) haben einen großen Einfluss auf körperliche Erkrankungen. Neben der geringeren Lebensqualität zeigen Studien, dass Angststörungen und Depressionen häufigere und längere Krankenhausaufenthalte und einen schlechteren Krankheitsverlauf begünstigen.
In Studien konnten Zusammenhänge festgestellt werden, dass Menschen mit manifesten psychischen Problemen oft Schwierigkeiten haben, die Therapietreue beizubehalten, ein ungünstigeres Gesundheitsverhalten und geringeres Aktivitätsniveau zeigen und weniger soziale Unterstützung erfahren. Darüber hinaus gibt es Hypothesen, dass sich mögliche biologische Prozesse wie Entzündungsreaktionen, Überstimulation der biologischen Stressachse und autonome Fehlregulationen (z.B. geringere Herzratenvariabilität) verstärken.
Mehrere Studien über Lungenpatienten zeigen, dass es drei wichtige Säulen zur Unterstützung von psychischen Problemen gibt. Die erste ist die Patientenschulung, die Ängste und Depressionen deutlich reduzieren kann. Weiterbildung ist ein ganz wichtiger Bestandteil von Krankheitsbewältigung und wirkt nachweislich antidepressiv.
Die zweite Säule ist die Psychotherapie, bei der z.B. schrittweise Aktivität mit Entspannungsübungen in Ruhepausen kombiniert wird und so bspw. ein „Verlernen“ von Ängsten beabsichtigt wird.
Spezielle Atem- und Achtsamkeitstrainings sowie Bewegungsformen bilden die nachweislich hilfreiche dritte große Säule. Hier können Leistungsfähigkeit und Lebensqualität verbessert und Ängste und Depressionen reduziert werden.
Bekanntermaßen gute Ergebnisse werden bei Reha-Aufenthalten erzielt, in denen die drei Säulen kombiniert angewendet und trainiert werden.
Psychosomatische Wechselwirkungen bei Lungenerkrankungen
Das Wort ‚psychosomatisch‘ setzt sich aus den Begriffen Seele und Körper zusammen und betrifft jeden Menschen, denn wir alle stehen in psychosomatischen Wechselwirkungen, wie z.B., dass Angst unser Herz schneller schlagen lässt.

In der Psychosomatik hat man es immer mit Wechselwirkungen zu tun. Mithilfe des 2017 in Cambridge, UK, entwickelten Breathing-Thinking-Functioning-Modells werden verschiedene Wechselwirkungen im Hinblick auf Atem und Atemnot in Form von mehreren Teufelskreisen beschrieben. Der erste Teufelskreis ist der körperliche Prozess der Atmung selbst, denn wenn wir Atemnot haben, neigen wir intuitiv zu einer ungünstigen, schnellen und überblähenden Atmung. So verfallen wir in immer ineffizientere Atemmuster, die uns schnell erschöpfen. Hilfreich sind hier Atemtechniken, Training der Atemmuskulatur, aber auch Handventilatoren zur Beruhigung der Atmung auf einer sensorischen Ebene oder auch die nicht invasive Beatmung.
Der zweite Teufelskreis, der Atemnot verstärkt, wird psychologisch beschrieben, denn er behandelt die Aufmerksamkeit auf das Symptom, was dieses häufig verstärkt und in Kombination mit katastrophisierenden Gedanken Ängste bis hin zu Panikattacken auslösen kann. Die beste Evidenz zur Behandlung dieser Wechselwirkung besitzt gegenwärtig die kognitive Verhaltenstherapie mit den bereits beschriebenen drei Säulen.
Der dritte Teufelskreis ist die funktionale Aktivität, denn wenn wir Atemnot empfinden, trauen wir uns möglicherweise immer weniger, uns aktiv zu zeigen und zu belasten. Folge kann ein Abbau der Muskulatur sein, der aufgrund von steigender Immobilität wiederum zu größerer Hilfsbedürftigkeit führt. Unterstützend können hier u.a. pulmonale Rehabilitationen, Pacing (stufenweises Herantasten an die Belastungsgrenze) oder auch Gehhilfen zur Unterstützung von Mobilität und Aktivität sein.
Wie kann man mit Belastungsthemen umgehen?
Der Referent hat eine Erhebung zum Thema Lebensqualität und psychische Gesundheit auf verschiedenen Lungenstationen durchgeführt und dort 62 Patienten mit weit fortgeschrittener COPD interviewt. Die Patienten füllten zum einen Screenings- zur psychischen Belastung und Lebensqualität sowie den Freiburger-Fragebogen zur Krankheitsverarbeitung aus und bekamen zudem in einem Interview zwei offene Fragen zu ihren individuellen Belastungsthemen und dem Umgang mit der Erkrankung gestellt.
”„Wichtig ist, anzuerkennen, dass Betroffene und Angehörige als Team zusammenstehen.“
Es zeigte sich, dass trotz der schweren Erkrankung ein Drittel (20 Patienten) berichtete, über eine gute Lebensqualität zu verfügen und zudem unter keinen psychischen Symptomen zu leiden. Die weitaus größere Gruppe von 42 Patienten fühlte sich durch die schwere Erkrankung deutlich psychisch belastet. In einem Vergleich der beiden Gruppen zeigte sich, dass die belastete Gruppe eine deutlich höhere Ausprägung in den Rubriken ‚depressive Verarbeitung‘ und ‚Bagatellisierung und Wunschdenken‘ aufwies. Die belastete Gruppe beschrieb, sich eher hängenzulassen, keine positive Sicht auf die Dinge zu haben und überwiegend die vorhandenen Einschränkungen wahrzunehmen. Gleichzeitig spielten sie die Erkrankung eher herunter, um sich nicht damit befassen zu müssen.
Das positiv denkende Drittel zeigte eine eher dankbare Haltung. Statt einem: „Nichts geht mehr“, tendierten diese Patienten eher zu dem Fokus auf ein: „Was geht noch?“ So trugen sie zur aktiven Bewältigung bei, waren tendenziell eher stressresistenter, positiver und eher motiviert, das Beste aus ihrer jeweiligen Situation zu machen.
Auffällig war, dass kein einziger der psychisch stabilen Patienten für sich eine Belastung aus sozialen Motiven angab. Dazu gehört, sich allein und ausgegrenzt zu fühlen, stigmatisiert zu sein oder anderen zur Last zu fallen. Hingegen berichtete ein Viertel der psychisch Belasteten davon, z.B. den Nasenschlauch verstörend wahrzunehmen oder kaum erreichbar für andere wie in einer Blase zu leben.
Die Rolle der Angehörigen
Welche Rolle spielen Angehörige bei der Krankheitsverarbeitung? Wie hoch ist deren Stress und Belastung? Wichtig ist anzuerkennen, dass Betroffene und Angehörige als Team zusammenstehen, denn Angehörige sind immer mitbetroffen von der chronischen Erkrankung. Verlust von Flexibilität und Möglichkeiten im beruflichen und sozialen Leben, finanzielle Schwierigkeiten, Vereinsamung und geringere Teilhabe können bei den Angehörigen dieselben Sorgen und Ängste auslösen und somit schwere psychische Folgen haben. Außerdem können Schuldgefühle und Angst um zukünftige Generationen das Leben erschweren.

Eine gemeinsame und aktive Krankheitsbewältigung kann hier der Weg zu einer deutlich besseren Lebensqualität sein. Hilfreich ist ein aktiver, bewusster Umgang mit der Erkrankung sowie die Mobilisierung von sozialen und emotionalen Ressourcen. Menschen, die sich dazugehörig und wertgeschätzt fühlen, die sich informieren und miteinander austauschen und die mithilfe von psychotherapeutischen Interventionen lernen, ihre Probleme zu bewältigen, können dadurch selbst aktiv zu ihrer psychischen Stabilität beitragen und empfinden mehr Lebensqualität. Ein Ziel, auf das es sich hinzuarbeiten lohnt.
Zusammenfassung: Gabi Niethammer