AutorIn
Zusammenfassung: Gabi Niethammer, so erschienen im Alpha1-Journal 1/2023.
Das Seltene suchen und finden
Ärzte verbinden mit dem Alpha1-Antitrypsin-Mangel häufig nur die Erkrankungen COPD und Lungenemphysem, dabei ist Alpha-1 deutlich mehr! Umso wichtiger ist es, vor allem die Fachwelt durch Symposien, Kongresse und Veröffentlichungen besser über die Besonderheiten des AATMs aufzuklären.
Differenzierung der verschiedenen Alpha-1-Typen
- Gesunde Genträger, die zwar ein erhöhtes Risiko haben, zu erkranken, die jedoch zeitlebens keine Symptome entwickeln, unabhängig davon, ob sie heterooder homozygot betroffen sind
- Säuglinge mit frühkindlicher Cholestase, die also durch verlängerte Gelbsucht und/oder schlechte Leberwerte auffallen
- Menschen über 50 mit Leberfibrose- oder zirrhose, bei denen dadurch ein erhöhtes Leberkarzinom-Risiko vorliegt
- Junge Patienten mit Asthma, das unbehandelt ggf. 30 Jahre später eine fixierte Obstruktion, ähnlich der COPD, auslösen kann
- Reine Emphysematiker, die durchrutschen können, wenn der Gasaustausch (Diffusionskapazität) nicht gemessen wird
- Patienten mit Bronchiektasen, selten auch mit Vasculitis oder Pannikulitis
Insgesamt wissen wir viel zu wenig über die mehr als 150 Genvarianten des Alpha-1-Antitrypsin-Mangels und wollen doch alle Facetten bei der Behandlung beachten, deshalb sind Daten aus Registerstudien wichtig, um auch seltene Ausprägungen von Symptomen/Veränderungen zu erfassen.
Berechnung von Betroffenen-Zahlen
Historisch gesehen entstand der AATM vermutlich vor ca. 2.000 Jahren bei den Wikingern. Es ist heute nicht eindeutig geklärt, wie viele Betroffene es überhaupt gibt, denn verschiedene Studien kommen zu verschiedenen Zahlenwerten, abhängig von den zugrundeliegenden Definitionen.
Der Referent hat anhand der unterschiedlichen Definitionen für den Raum Stuttgart und hochgerechnet auf Deutschland die möglichen Betroffenenzahlen im April 2023 berechnet: Die Pneumologische Praxis im Zentrum (PiZ) ist deutschlandweit nach Marburg das zweitgrößte Alpha-1-Center. 50 % der Alpha-1-Patienten sind unter 50 Jahre alt und 60 % sind weiblich. Mehr als 50 % haben die Diagnose Asthma oder einen Asthma-Anteil mit COPD, nur 15 % haben die klassische Diagnose COPD oder Lungenemphysem.

Die Daten von April 2023 ergaben, dass in Stuttgart von vermutlich fast 12.000 PI*MZ nur 131 diagnostiziert sind und sich von 125 errechneten PI*ZZ nur 43 in Behandlung befinden. Es gibt also ganz deutliche Abweichungen zwischen den mutmaßlichen Betroffenenzahlen und den tatsächlich erfassten Patienten und es ist über die geschätzten Prävalenzen eine noch höhere Dunkelziffer anzunehmen.
Das Ziel muss sein, dass heterozygot oder homozygot Betroffene nicht erst im Alter von 55 Jahren, nach 40 Raucherjahren und mit einer katastrophalen FEV1 und einem deutlich eingeschränkten Gasaustausch entdeckt werden. Um das Ziel zu erreichen, sollte Alpha-1 möglichst früh entdeckt und dann gemonitort und ggf. therapiert werden.
Erkrankungsmuster und Interventionsmöglichkeiten im zeitlichen Verlauf
Frühkindesalter
- Erhöhtes Leberrisiko
Kinder und Jugendliche
- Allergie / Asthma mit spezifischer Immuntherapie
- Beratung zur Berufswahl
- Beratung zu den besonderen Gefahren des inhalativen Rauchens
- Beratung zu Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und Gewicht
Erwachsene, hinzu kommen
- COPD / Emphysem
- Leberfibrose, -zirrhose
- Beratung zu Sauerstoff- und Substitutionstherapie
Ältere Menschen, hinzu kommen
- Atemtherapie
- Reha
- COPD-Behandlung
Prävalenz für Vorkommen von PI*ZZ (Greulich et al 2017)
- 10/100.000 bei 0 – 29-Jährigen
- 16/100.000 bei 30 – 44-Jährigen
- 28/100.000 bei 45 – 59-Jährigen
- 39/100.000 bei 60 – 74-Jährigen
Ein frühzeitiges Monitoring (Überwachung) und eine gute Aufklärung hinsichtlich der Symptome, der Risiken, möglicher Therapien und der Berufswahl können zu Vermeidung von Schäden führen und eine fixierte Obstruktion bei Asthma, eine COPD und den Verlust von Gasaustauschfläche beim Lungenemphysem verhindern.
Ein frühzeitiges Monitoring kann andererseits aber auch zu Ängsten und Depressionen führen, Einfluss auf die Familienplanung und -struktur haben, Stigmatisierung und Diskriminierung auslösen und Unsicherheiten hinsichtlich verschiedenster Versicherungen hervorrufen.
Diagnostik von Alpha-1
Die Serumspiegelmessung als erster Schritt kostet gerade einmal 10,70 €. Bei auffälligen Laborspiegeln oder bei v.a. Alpha-1-Mangel erfolgt dann die Genotypisierung.
Unterschieden werden muss zwischen der diagnostischen und der prädiktiven genetischen Untersuchung. Hat jemand bereits eine Leber- oder Atemwegserkrankung, Bronchiektasen, Vaskulitis oder Pannikulitis, dann darf jeder Arzt die genetische Untersuchung auf Alpha-1 machen, da sie diagnostisch begründet ist. Nach Ergebniseingang soll dem Patienten dann auch die Möglichkeit zu einer genetischen Nachberatung angeboten werden.
Kommen hingegen gesunde Angehörige und möchten eine Untersuchung auf Alpha-1 machen lassen, darf die genetische Untersuchung nur nach einer fachgenetischen Beratung durchgeführt werden, da es um die Abklärung zukünftig auftretender Erkrankungen geht und somit eine prädiktive Untersuchung darstellt. Es ist strafrechtlich relevant, wenn der Arzt ohne diese Beratung die Untersuchung veranlasst.
Die bekannten, veröffentlichten Laborspiegel der Genotypen decken sich nach den Erfahrungen des Referenten nicht immer mit denen, die er in seiner Praxis tatsächlich misst.
Vor allem bei den Genotypen PI*MZ und PI*SZ ist die Diskrepanz hoch und hat zur Folge, dass gerade bei jungen Menschen der Alpha-1-Spiegel im Normbereich liegen kann und trotzdem ein heterozygoter Mangel vorliegt! Dies berücksichtigen viele Ärzte mangels Erfahrung mit Alpha-1 nicht, sodass es zu Fehleinschätzungen unter Unterdiagnostik kommen kann.
Diagnosepfad
Die Anamnese auf Asthma und COPD gestaltet sich unterschiedlich. Während beim Asthmatiker häufig schon Symptome im Kindes- oder Jugendalter auftraten, der Patient kaum oder nicht geraucht hat, beim Sport Beschwerden hatte und morgens Naseschnäuzen muss, stehen bei der COPD eher fortschreitende Symptome im Vordergrund, der Betroffene hat vermutlich mehr als 20 Jahre geraucht, hatte eine chronische Bronchitis, keine Allergien, dafür ggf. Komorbiditäten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs. Der Lungenfunktionstest zeigt hier einen deutlichen Leistungsabfall.

Rauchstopp first!
Alpha-1 und Rauchen = No-Go! Die ideale Tabakentwöhnung ist ein Stufenplan mit motivierender Ansprache, evidenzbasierten Apps, Medikamenten und längerfristig begleiteter Unterstützung in Einzel- oder Gruppenschulungen.
Behandlung von Asthma (chronische Atemwegs- Inflammation)
Es gibt eine 5-Stufentherapie mit kombinierten Medikamenten, bei denen Cortison an erster Stelle steht.
Behandlung von COPD
Sehr früh wird doppelt öffnend therapiert. Nur, wenn der Patient ständig exazerbiert, kommt die Triple-Therapie, das inhalative Steroid, dazu. Es ist ein Gewinn, dass es den langwirksamen Bronchialöffner mit inhalativem Steroid so nicht mehr für die COPD gibt, sondern Steroid nur noch gegeben wird, wenn der Patient häufige Exazerbationen hat oder z. B. die eosinophilen Granulozyten im Blut über 300 liegen. Die COPD ist eine Systemerkrankung und so muss bei der Therapie auf weitere Erkrankungen wie Osteoporose, Skelettmuskelabbau, Reflux, Gewichtsverlust oder psychische Erkrankungen geachtet und diese mitbehandelt werden.
Fazit
Die umfassende Behandlung von Alpha-1-Patienten sieht folgende Schritte vor:
- Risiko früh erkennen und dadurch einer Erkrankung vorbeugen
- Lungenfunktion und Diffusion, wenigstens 1 x im Leben auch für jeden PI*MZ,
- ggf. Allergietest, besser sind auch hier regelmäßige Kontrollen
- Genotypisierung diagnostisch/prädiktiv (aufpassen bei Versicherungen)
- Berufsberatung
- Familienberatung, Beratung Familienplanung
- Modifikation Risikoverhalten (Rauchen = Rauchstopp, Alkohol)
- Regelmäßig Monitoring Lunge und Leber
- Inhalative Asthma-Therapie
- Therapie Allergie (spezifische Immuntherapie)
- Inhalative COPD-Therapie
- Augmentationstherapie (Substitution)
- Gesunde, ausgewogene Ernährung zum Erhalt einer gesunden Leber
- Gewichtsregulierung
- Ausreichend Bewegung und Sport
- Impfungen (Pneumokokken, Influenza, Pertussis, Corona, Zoster)
- Atemtherapie, Lungensport, Reha
- Sauerstofflangzeittherapie (LTOT)
- Lungenvolumenreduktion
- Lungentransplantation