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Alpha1 Deutschland e.V., so erschienen im Alpha1-Journal 2/2022.
Neugeborenenscreening auch auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel?
Das Neugeborenenscreening ist eine Reihenuntersuchung, die direkt nach der Geburt am Säugling durchgeführt wird, um Stoffwechsel- und Hormonerkrankungen frühzeitig zu erkennen. Getestet wird auf ausgewählte Erkrankungen, die u. a. nach den Wilson & Junger-Regeln ausgesucht werden. Diese Auswahlkriterien haben wir Ihnen bereits im Journal 1/2022 (Seite 31-33) erläutert. In dem Journal haben wir Sie auch mitgenommen zum Projekt der ACHSE (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen) und bereits das Für und Wider für unsere Erkrankung angesprochen.
Jetzt, eineinhalb Jahre später, sind wir eigentlich nicht wirklich weitergekommen, das Projekt der Achse läuft noch immer, denn es gibt sehr viele Aspekte beim Neugeborenenscreening zu bedenken: Informationsübermittlung vor dem freiwilligen Screening, Begleitung nach Diagnose, Machbarkeit der Analysen (in der vorgegebenen Zeit), Kosten, ethische Fragen, Behandelbarkeit der Erkrankung (was genau ist damit gemeint?), Umgang mit eventuellen Fehldiagnosen, gibt es vielleicht auch spätere sinnvolle Zeitpunkte für den Test und noch vieles mehr. Wir haben mit Experten und anderen Patientenorganisationen diskutiert und gearbeitet, Literaturrecherchen betrieben und machen uns immer wieder die gleichen Gedanken, denn ein Screening im Säuglingsalter sollte gut überlegt werden.
In Belgien läuft zurzeit eine Studie namens „Baby Detect“, die weit über das herkömmliche Neugeborenenscreening hinausgeht. Mit zusätzlichen 4-8 Blutstropfen wird auf mehr als hundertzwanzig seltene, aber behandelbare, genetische Krankheiten gescreent. Auch das Screening auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist hierbei enthalten.
Als Maßnahmen im Falle einer Frühdiagnose (behandelbar) werden aufgeführt:
- Das Stillen des Säuglings
- Die Sicherung der Diagnose durch die Bestimmung des Serum-Spiegels im Blut
- Die multidisziplinäre Versorgung • Die Lebertransplantation als endgültige Behandlung
- Die Substitution bis hin zur Lungentransplantation
- Die Behandlung mit Dapson- oder Doxycyclin-Therapie bei Pannikulitis
- Die genetische Beratung bei der Familienplanung
Klingt gut, zeigt aber nur die eine Seite der Medaille! Worüber man hingegen auch nachdenken sollte:
- Das Recht eines Kindes auf „Nichtwissen“
- Soziale Aspekte wie z. B. die mögliche Ausgrenzung von Behinderten/Erkrankten und deren Eltern, die sich nicht haben untersuchen lassen
- Werden alle Varianten gefunden oder schaut man nur nach ZZ?
- Versicherungen sind noch immer ein Problem, hat man erstmal genetisch getestet, braucht es gute Begründungen, um in einige Versicherungen überhaupt aufgenommen zu werden. Ein Nichtwissen schützt in dem Fall
- Die Gefahr der Überbehütung durch Eltern, obwohl sie nicht wissen können, ob die Erkrankung überhaupt ausbricht
Es fehlt Ihnen hier in der Diskussion das Wort „Prävention“? Ja, die wäre durch eine frühe Diagnose möglich, aber gehört Prävention nicht sowieso zu einem gesunden Aufwachsen, so zum Beispiel:
- Rauchprävention: kein Kind sollte je rauchen, daran ändert die Diagnose auf einen Alpha-1-Mangel nichts
- Bewegung und gesunde Ernährung, auch hier: Das gilt für jedes Kind!
- Bei ersten Zeichen einer Erkrankung sollte man den Arzt aufsuchen: Wir wiederholen uns, das gilt für jedes Kind!
Es ist schwer, sich eine Meinung zu bilden, als Erkrankter neigt man dazu zu sagen: „Wissen hilft“, doch das gilt nicht für alle Menschen gleichermaßen.
Wir werden an dem Thema dranbleiben, es sind viele verschiedene Modelle für die Zukunft denkbar. Das Neugeborenenscreening ist nur eine Möglichkeit, die Forschung schreitet voran und die Untersuchung unseres Genoms (Gesamtheit aller Erbinformationen einer Zelle) wird vieles verändern. Wie immer ist es wichtig, frühzeitig dabei zu sein und Einfluss zu nehmen, wo immer wir das können.
Rauchprävention: kein Kind sollte je rauchen, daran ändert die Diagnose auf einen Alpha-1-Mangel nichts.
Nach den vielen Meetings, den vielen Informationen und den vielen gehörten Erfahrungen der anderen gibt es zumindest einen Vorteil bei unserer Erkrankung:
Wenn wir bei Kindern, die erhöhte Leberwerte haben oder schlecht gedeihen und auch, wenn wir bei erhöhten Leberwerten und/oder eingeschränkter Lungenfunktion im Erwachsenenalter einfach mal an Alpha-1 denken würden, wäre schon viel gewonnen. Wir haben die Chance, unsere Erkrankung zu diagnostizieren, bevor sie (wie bei anderen Erkrankungen) tödlich endet. Nutzen wir diesen Vorteil und sorgen endlich für mehr Testung bei ersten Symptomen.