AutorIn
Monika Tempel, so erschienen im Alpha1-Journal 2/2023.
„Corona-Angst“ als Chance erkennen und nutzen
Wohl niemand wünscht sich eine Infektion mit SARS-CoV-2 und deren möglicherweise langanhaltende Folgen (Post/ Long COVID). Das gilt besonders für Mitglieder von vulnerablen Gruppen (wie beispielsweise Alpha-1-Patienten). Verstärkte „Corona-Angst“ bei Alpha-1-Patienten ist nachvollziehbar, aber keineswegs unabwendbar. COVID-Angst (so der in der Fachliteratur gebräuchliche Begriff) ist ein erstaunlich gut erforschtes Thema. Der folgende Artikel geht anhand von fünf Leitfragen auf bisher bekannte Hintergründe ein und zeigt Wege zu einem angemessenen Umgang mit COVID-Angst. Denn Angst ist immer nur dann ein „guter Ratgeber“, wenn sie uns auf Gefahren und notwendige Verhaltensänderungen hinweist. Übernimmt die (COVID-)Angst das Ruder, fehlen Konzentration, Kreativität und Kraft für eine Kurskorrektur.
Leitfrage 1: Lassen sich Zusammenhänge zwischen COVID-Angst und psychischem Befinden nachweisen?
COVID-Angst steht nachweislich in Zusammenhang mit verschiedenen Aspekten der psychischen Gesundheit:
- Depression
- Stress
- Angst
- Schlafproblemen
- Psychischem Wohlbefinden
Dabei variieren die Zusammenhänge von eher schwach bis mäßig ausgeprägt (bei Schlafproblemen und psychischem Wohlbefinden) und übermäßig bis stark ausgeprägt (bei Depression, Stress, Angst). Alle erwähnten Faktoren sind wichtige Bausteine für ein glückliches und gesundes Leben. Wenn einer dieser Bausteine beeinträchtigt ist, wächst die Gefahr für ernsthaft körperliche oder psychische Gesundheitsprobleme. Deshalb ist es wichtig, COVID-Angst zunächst einmal als solche frühzeitig zu erkennen oder (noch besser!) vorbeugend zu verhindern.
Leitfrage 2: Welche Risikofaktoren spielen bei COVID-Angst eine Rolle?
Wenn bei einem Störungsbild Risiko- und Schutzfaktoren gesichert nachzuweisen sind, besteht berechtigte Hoffnung auf brauchbare Ansätze für Vorbeugung (Prävention, Prophylaxe), Behandlung (Therapie) und Nachsorge (Rehabilitation).
Eine österreichische Studiengruppe hat ein biopsychosoziales Modell der schweren COVID-Angst entwickelt und folgende Risikofaktoren untersucht:
- Biologische Faktoren (körperliche und psychische Vorerkrankungen, Geschlecht)
- Psychologische Faktoren (Trait-Angst = Ängstlichkeit als Zustand, State-Angst = situative Angst, schwere Krankheitsangst, spezifische Phobie, psychisches Wohlbefinden, Depression)
- Psychosoziale Faktoren (soziale Unterstützung, Social Media Konsum, finanzielle Verluste, Kontakt mit Infizierten).
Die signifikanten (nicht durch Zufall erklärbaren) nachgewiesenen Zusammenhänge lassen sich grafisch anschaulich darstellen. Bemerkenswert ist, dass in dieser Studie kein signifikanter Zusammenhang zwischen körperlichen Vorerkrankungen und erhöhter COVID-Angst nachweisbar war. Dieser Befund ist zwar mit Vorsicht zu genießen, lässt sich aber durchaus als Zeichen für gute Resilienz und Coping-Fähigkeiten von Patienten mit chronischen Erkrankungen (z. B. Alpha-1-Patienten) deuten.
Die Studienergebnisse bieten zum einen die Chance, Personen mit Risikoprofil frühzeitig eine angemessene Unterstützung für den Umgang mit COVID-Angst anzubieten. Zum anderen lenken die Befunde den Blick in Richtung möglicher Schutzfaktoren vor COVID-Angst.
Leitfrage 3: Welche Schutzfaktoren können im Zusammenhang mit COVID-Angst genutzt werden?
Bereits die österreichische Studie ergab Hinweise auf die mögliche Schutzwirkung einer stabilen Partnerschaft vor COVID-Angst. Andere Studien bestätigen diesen Befund und weisen weitere Schutzfaktoren vor COVID-Angst nach.
Aus diesen Befunden ergeben sich die beiden folgenden Leitfragen für die Praxis.
Leitfrage 4: Lässt sich COVID-Angst messen?
Tatsächlich gibt es bereits einige brauchbare und zuverlässige Messinstrumente für COVID-Angst. Sie wurden zumeist auf der Grundlage von Fragebögen für allgemeine Krankheitsängste entwickelt. Am bekanntesten sind folgende Fragebögen (Questionnaires) und Skalen (Scales):
- Fear of COVID-19 Scale (FCV-19S; Ahorsu et al., 2020)
- COVID stress Scales (CSS; Taylor et al., 2020)
- Fear of Coronavirus Questionnaire (FCQ; Mertens et al., 2020)
- Newly developed scale (NEW; basiert auf Mertens et al., 2020).
Die Entwicklung und Prüfung dieser vier Messinstrumente zeigen die vielen Facetten der COVID-Angst und ihre Zusammenhänge. Jeder Fragebogen setzt dabei unterschiedliche Akzente. Um ein so komplexes Störungsbild wie COVID-Angst wirksam zu behandeln (oder erst gar nicht entstehen zu lassen), können Forscher die unterschiedlichen Fragebögen mit ihren jeweiligen Akzentsetzungen gezielt einsetzen. So lassen sich die individuellen Ängste und psychischen Belastungen erfassen und möglichst maßgeschneiderte Interventionen für die Betroffenen finden.
Leitfrage 5: Welche Angebote können COVID-Angst wirksam verhindern oder mildern?
Bei ihrer Suche nach hilfreichen Interventionen gegen COVID- Angst setzen die Forscher beispielsweise bei folgenden Beobachtungen an:
- Nicht jeder entwickelt COVID-Angst und damit verbundene psychische Störungen.
- Im Gegenteil: Die Mehrheit zeigt angemessene psychische Widerstandskraft gegenüber Gesundheitsbedrohungen durch ein noch wenig erforschtes Virus.
- Studienergebnisse legen nahe, dass diese Widerstandskraft in Konstellationen wie Optimismus, Achtsamkeit und Resilienz begründet sein könnte.
Damit ist für die Forscher eine Spur gelegt. Und tatsächlich konnten sie nachweisen, dass Optimismus, Achtsamkeit und Resilienz die Zusammenhänge zwischen COVID-Angst und psychischen Problemen signifikant beeinflussen. Eine Schlüsselstellung nehmen dabei die depressiven Symptome ein, die deshalb besondere Beachtung finden sollten.
Aus den Studien ergeben sich Ansatzpunkte für die Entwicklung von Angeboten gegen COVID-Angst:
- Optimismus fördern!
- Achtsamkeit üben!
- Resilienz stärken!
Diese Ansätze gelten als hilfreich, sowohl für von COVIDAngst betroffene Patienten als auch für deren Angehörige. Nachweislich wirksame Angebote zur Stärkung von Optimismus, Achtsamkeit und Resilienz existieren für unterschiedliche Settings (Einzeln oder in der Gruppe; in Präsenz oder online).
Hier eine kleine Auswahl kostenloser Angebote aus dem „digitalen Schatzkästchen“ der Experten:
- Auf Kurs bleiben KOMPAKT (LIR Mainz): lir-mainz.de/aufkursbleiben-kompakt
- Das Leben annehmen (Matthias Wengenroth): daslebenannehmen.de/Audio-Uebungen
- Achtsamkeitsübungen (Pfalzklinikum): pfalzklinikum.de/aktuelles/detail/achtsamkeitsuebungen-zum-download/
- MBSR-Kurs (evidero.de): evidero.de/themen/mbsr-achtsamkeitstraining-online
- 7Mind-App (7 Mind GmbH): 7mind.de