AutorIn
Zusammenfassung: Sabine Habicht, so erschienen im Alpha1-Journal 1/2024.
Aktuell wird vor allem über ChatGPT in Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) berichtet, doch zu KI gehört sehr viel mehr. Zunächst stellt sich jedoch die Frage: Was ist eigentlich Künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz (KI) bezieht sich auf die Fähigkeit von Computersystemen, Aufgaben auszuführen, die normalerweise den Fähigkeiten menschlicher Intelligenz zugeschrieben werden. Diese Aufgaben können Problemlösung, Spracherkennung, visuelle Wahrnehmung, Lernen, Planung, Entscheidungsfindung und vieles mehr umfassen. Die Technologiemodelle der Computersysteme, die derzeit eingesetzt werden, um KI zu realisieren, verfolgen ganz verschiedene Ansätze:
Maschinelles Lernen (ML):
Hierbei handelt es sich um einen Ansatz, bei dem Computer auf Daten trainiert werden, um Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen, ohne dafür explizit programmiert zu werden.
Neuronale Netzwerke:
Diese Systeme sind von der Funktionsweise des menschlichen Gehirns inspiriert. Künstliche neuronale Netze sind Algorithmen (Rechenvorgänge nach bestimmten sich wiederholenden Schemata) und bestehen aus miteinander verbundenen Knotenpunkten (Neuronen), die Informationen, insbesondere aus den Bereichen Statistik, Informatik und Wirtschaft erlernen und verarbeiten können.
Natürliche Sprachverarbeitung (NLP):
Hierbei werden Algorithmen und Techniken eingesetzt, um menschliche Sprache zu verarbeiten, zu verstehen und zu generieren, wie dies z.B. bei ChatGPT der Fall ist.
Computer Vision:
Diese Technik bezieht sich auf die Fähigkeit von Computern, visuelle Informationen zu interpretieren und zu verstehen. Computer Vision wird in Bereichen wie Bilderkennung, Gesichtserkennung, medizinischer Bildgebung und autonomem Fahren eingesetzt.
Jedes der vier benannten Technologiemodelle kommt auch bereits in der Medizin zum Einsatz. Die weltweiten Umsatzerwartungen durch KI im Gesundheitswesen sind enorm und gehen von einer fast Verzehnfachung bis zum Jahr 2028 aus (Quelle: Statista 2024). Ärzte und Patienten werden in der Zukunft mehr und mehr von digitaler Medizin begleitet werden: von der Prävention, über Screening, Diagnose und Therapie bis hin zur Nachsorge.
ChatGPT = Chatbot Generative Pre-trained Transforder, ist eine Software, in die Millionen Texte aus dem Internet, aus Zeitungsartikeln, aus Büchern und vielen anderen Ressourcen „eingespeist“ werden. Basierend auf diesen Daten wird das Computersystem „trainiert“. Benutzer können mittels Texteingabe mit ChatGPT menschenähnlich kommunizieren. Das Besondere daran ist, dass der Chatbot aus dieser Unterhaltung lernt und auf dessen Grundlage z.B. komplizierte Sachverhalte erklären, Texte produzieren oder sogar Nachrichten schreiben kann. ChatGPT wurde von OpenAI, einem kalifornischen KI-Forschungsunternehmen, entwickelt.
Welche Vorteile kann KI für Patienten haben?
1. Früherkennung und Diagnose
KI-Systeme können helfen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und genaue Diagnosen zu stellen, indem sie große Mengen an Patientendaten analysieren und Muster erkennen, die von Ärzten möglicherweise übersehen werden.
Auch bei Alpha-1-Antitrpysin-Mangel ist eine Früherkennung wünschenswert, denn meist wird die Diagnose bei vielen Patienten viel zu spät und manchmal gar nicht gestellt. Computersysteme, die vorhandene Symptome analysieren und mögliche Ursachen präsentieren, können zukünftig hilfreich sein. So lautet z.B. bei ChatGPT auf die Fragestellung: „Ich habe ein Lungenemphysem und nie geraucht. Mein Vater ist an einer Lebererkrankung gestorben. Was könnte ich haben“, die Antwort: „… verschiedene Erkrankungen könnten infrage kommen, darunter genetische Störungen wie Alpha- 1-Antitrypsin-Mangel, der sowohl die Lunge als auch die Leber beeinflussen kann …“. Dieser Hinweis und die Einbeziehung von Alpha1 in die möglichen Erkrankungsursachen der Symptomatik könnten für eine frühe Diagnose richtungsweisend sein.
2. Personalisierte Medizin
Durch die Analyse von genetischen Informationen, Gesundheitsdaten und anderen relevanten Informationen können KI-Systeme personalisierte Behandlungspläne erstellen, die auf die individuellen Bedürfnisse und Merkmale eines Patienten zugeschnitten sind.
3. Medikamentenmanagement:
KI kann Patienten helfen, ihre Medikamente effektiver zu verwalten, indem sie Erinnerungen an die Einnahme von Medikamenten sendet, Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten überwacht und sogar Vorschläge für alternative Behandlungsoptionen formuliert. Insbesondere bei chronisch erkrankten Patienten, bei denen oftmals weitere Begleiterkrankungen vorliegen können, wie dies z.B. bei COPD der Fall ist, ist häufig die Verordnung einer Vielzahl von Medikamenten erforderlich. KI-Systeme können Ärzte bei der Optimierung einer möglichst geringen Anzahl von Verordnungen unterstützen und zudem effizienter mögliche Wechselwirkungen erkennen.
Gesundheitsmanagement und Lebensstilberatung:
KI-gestützte Gesundheits- und Wellness-Apps können Patienten dabei unterstützen, ihren Lebensstil zu verbessern, indem sie Ernährungs- und Fitnessberatung anbieten, Schlafmuster überwachen und bei der Stressbewältigung helfen. In der Schlafmedizin findet bereits heute eine KI-gestützte Fernüberwachung statt, die sich bewährt hat. Befunde, aktuelle Parameter können ohne Zeitverzögerung übertragen, die Situation des Patienten überwacht und die Therapiemaßnahmen stets angepasst umgesetzt werden.
Ein weiteres Beispiel im Gesundheitsmanagement ist die digitale Gesundheitsanwendung (DIGA) „kaia“ für COPDPatienten, die durch ihren behandelnden Lungenfacharzt kostenfrei per Rezept verordnet werden kann. Durch die Anwendung dieser App kann tägliches Training zu Hause begleitet und optimiert werden. Ein integrierter Bewegungsscanner ermöglicht beispielsweise Korrekturempfehlungen in Echtzeit und hilft so bei der korrekten Umsetzung der Übungen und Fehlervermeidung.
Welche Vorteile kann KI für Ärzte haben?
„Entscheidend ist zunächst, dass der Mensch die Kontrolle über die KI behält! Es ist wichtig, dass Ärzte immer in der Lage sind, mögliche Fehler der KI und deren Quellen zu erkennen. Das setzt wiederum voraus, dass Ärzte nachvollziehen und verstehen können, wie KI entsteht und wie der angewendete Algorithmus zu Ergebnissen kommt“, formuliert die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaft (AWMF) – eines der wichtigsten Fachgremien in Deutschland – und fordert mehr Lehre zu KI-Anwendungen bereits im Medizinstudium.
Diese geforderte Grundlage gilt es, nun in die Realität umzusetzen!
Wo KI die Arbeit der Ärzte zukünftig unterstützen kann, zeigen bereits vielfältige Studien, allerdings keineswegs immer mit einem Vorteil für die KI, nachfolgend zwei Beispiele:
- KI-Apps erkennen Hautkrebs so zuverlässig wie Ärzte. Die KI-Anwendung neigt in der Behandlungsempfehlung tendenziell dazu, mehr gutartige Läsionen zu entfernen, als Expertinnen und Experten dies würden. Wenn man das beachtet, ist die KI-Anwendung durchaus einsetzbar. Zu bedenken ist aber, dass bei unkritischem Einsatz zu viele falsch-positive Befunde abgeklärt werden müssten. (Quelle: Menzies SW et al. LancetDigital Health 2023)
- KI könnte Kliniker bei der Diagnose von hospitalisierten Patienten unterstützen – so die Hypothese. Systematische Verzerrungen in KI-Modellen können jedoch die Diagnosegenauigkeit der Kliniker verschlechtern (Quelle: Jabbour S et al. JAMA 2023)
KI und Alpha-1-Antitrypsin-Mangel
Es finden sich ebenso Forschungsprojekte, die unmittelbar den Alpha-1-Antitrpysin-Mangel betreffen. Nachfolgend zwei aktuelle Projekte: Ein kombiniertes Modell maschinellen Lernens (ML) zur Vorhersage der klinischen Ergebnisse von Patienten mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel und damit assoziierten Lebererkrankungen auf Basis der britischen Biodatenbank hat im Wesentlichen zwei Ziele: Zum einen, ein besseres Verständnis für das Fortschreiten der Erkrankung zu entwickeln und zum anderen den rechtzeitigen Zeitpunkt zur Notwendigkeit der Einleitung spezifischer therapeutischer Maßnahmen besser zu erkennen.
„KI kann und wird den Arztbesuch nicht ersetzen, KI braucht immer ein Feedback eines erfahrenen Arztes!“
Eine weitere wissenschaftliche Arbeit befasst sich mit der Zusammenarbeit künstlicher Intelligenz und Lungenfachärzten im Hinblick auf die Verbesserung der Interpretationsgenauigkeit von Lungenfunktionstests. Die bei dieser Untersuchung teilnehmenden Pneumologen nutzten für ihre Entscheidungen auch ein Feedback der KI und verbesserten dabei durchweg ihre Beurteilung, wenn die KI korrekte Vorhersagen lieferte.
Als Schlussfolgerung zeigt sich, dass eine Zusammenarbeit zwischen einem Pneumologen und KI bei der Interpretation von Lungenfunktionen optimierter ist als die Befundung des einzelnen Pneumologen ohne KIUnterstützung.
Weiterhin etabliert KI sich zunehmend im Bereich der Radiologie, was möglicherweise eine Verbesserung in der Emphysem- Diagnostik und auch im Hinblick auf ein frühzeitiges Erkennen eines Exazerbationsrisikos (Risiko für eine akute Verschlechterung) bedeutsam sein kann.
Zusammenfassung
Künstliche Intelligenz geht einher mit einer rasanten Entwicklung neuer technischer Optionen und KI verändert die Medizin. Die verschiedenen KI-Modelle entwickeln sich kontinuierlich weiter und verbessern sich zunehmend, was gleichzeitig zu einer Erweiterung der möglichen Aufgabenbereiche führt – sogar so weit, dass KI als „Entwicklungshelfer“ für neue Medikamente in Betracht gezogen wird.
Dennoch, darf KI keinesfalls überschätzt werden, denn wo es Licht gibt, gibt es immer auch Schatten. Ärzte und Patienten sollten die Chancen, aber ebenso die Risiken sowie Grenzen von KI kennen. Entscheidend ist, sich mit dem Thema KI auseinanderzusetzen – und sowohl die Vorteile als auch die Nachteile zu berücksichtigen. KI kann und wird den Arztbesuch nicht ersetzen, KI braucht immer ein Feedback eines erfahrenen Arztes!