Skip to main content
search

AutorIn

Zusammenfassung: Gabi Niethammer, so erschienen im Alpha1-Journal 1/2023.

Nachstellung eines Beratungsgesprächs nach der Erstdiagnose anhand der Fragen, die Familien am häufigsten beschäftigen: Wie kommt die Erkrankung zustande, wie „funktioniert“ sie?

Ganz vereinfacht dargestellt gibt es im Körper Eiweiße (Proteasen), die man im Rahmen von Entzündungsreaktionen braucht, um Gewebe auflösen zu können. Entzündungszellen treten in Gewebe ein und es werden Krankheitserreger abgewehrt, Viren isoliert und Schadstoffe angegriffen. Man braucht aber auch einen Mechanismus, um Proteasen wieder zu stoppen. Dafür gibt es Gegenstoffe (Inhibitoren) wie das Alpha-1-Antitrypsin. Diese binden die Proteasen und beenden somit den Vorgang der Auflösung. Fehlt nun Alpha1, dann „futtern“ sich die Proteasen durch und machen vor gesundem Lungengewebe nicht halt. Hinter dem Alpha- 1-Antitrypsin-Mangel steckt eine einfache Mutation einer einzelnen Aminosäure.

Grundsätzlich ist der Begriff AAT-Mangel etwas irreführend, da das Alpha-1 ja bei den meisten Menschen in der Leber gebildet, dort aber fehlerhaft gefaltet wird und so aus der Leber nicht heraus kann. Bei den Z-Molekülen kommt hinzu, dass das in der Leber liegen gebliebene Alpha-1 verklebt und sich zu Ketten zusammenlegt (Polymerisation). In der Leber ist also zu viel Alpha-1 und da es dort nicht herauskommt, kommt über das Blut in der Lunge zu wenig an, es kommt dort zu einem Mangel.

Woher kommt der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel überhaupt und wofür war er gut?

Es wird angenommen, dass die Mangelvarianten vor ca. 2.500 Jahren entstanden sind, wobei das PI*Z dem skandinavischen Raum und das PI*S dem spanischen zugesprochen wird. Weiter geht man davon aus, dass es unter den damaligen Lebensumständen mit sehr vielen Infektionen einen gewissen Überlebensvorteil geboten hat, zumindest eine Alpha- 1-Mangelanlage zu haben, also heterozygot betroffen zu sein. Das würde die Verbreitung über einen historisch gesehen relativ kurzen Zeitraum erklären.

Wieso ist mein Kind betroffen? Ist die Diagnose sicher?

Auf Chromosom 14 liegt die Information zum Alpha-1-Antitrypsin. Grundsätzlich hat jeder Mensch zwei Erbanlagen, von denen er wiederum eine Anlage seinem Kind weitergibt. Zwei mutierte Gene im Körper bedeuten, homozygot betroffen zu sein, hier ist die häufigste Variante PI*ZZ. Ist nur ein Gen betroffen, nennt man das heterozygot betroffen (PI*MZ) und man ist Träger der Mangelanlage.

Bei einer Familie mit einem homozygot betroffenen Kind müssen beide Eltern zumindest ein mutiertes Gen haben, sind also selbst mindestens heterozygot betroffen. Das Risiko für weitere Kinder ist statistisch mit 25 % (gesund) zu 50 % (heterozygot) zu 25 % (homozygot) einfach, doch richtet sich die Biologie nicht danach und es wird im Einzelfall jedes Mal neu gewürfelt.

In einer beispielhaften Familienkonstellation mit einem homozygot betroffen Vater und einer homozygot gesunden Mutter können alle Kinder ausschließlich heterozygot, also Träger der Mangelvariante, sein. Anders sieht es aus, wenn die Mutter nicht gesund, sondern selbst Trägerin ist, dann können die Kinder entweder hetero- oder homozygot betroffen sein. Ist sie selbst PI*ZZ, können die Kinder nur homozygot betroffen sein, da von beiden Eltern nur ein Z weitergegeben werden kann.

Wie sieht das Krankheitsbild aus?

Die ernsthafte Erkrankung ist eine Erkrankung der ganz kleinen Kinder und vor allem eine Leberkrankheit. Im frühen Säuglingsalter kann sich der AATM durch eine verlängerte Gelbsucht, entfärbte Stühle, Lebervergrößerung, Gedeihstörung, erhöhte Leberwerte bis hin zur seltenen und gefährlichen Vitamin K-Mangel-Blutung zeigen. Im Kleinkindalter können eine Leber- und Milzvergrößerung mit anschwellendem Bauch und Juckreiz hinzukommen.

Die erhöhten Leberwerte sind häufig ein Zufallsbefund, weil bei jüngeren Kindern anlässlich einer ganz anderen Untersuchung oder z.B. eines HNO-Eingriffs ein Routinelabor gemacht wird und dort dann die erhöhten Leberwerte bei bislang völlig gesunden Kindern auffallen.

Später im Schulkindesalter werden Kinder, die bis dahin gesund geblieben sind, nur noch sehr, sehr selten krank. Es kann aber vereinzelt vorkommen und zeigt sich dann z.B. durch Juckreiz, allgemeine Schwäche und Wachstumsrückstand oder wiederum durch schlechte Leberwerte. In absoluten Einzelfällen treten dramatische Anzeichen wie Bluterbrechen, blutige Stühle oder Luftnot mit Blauwerden bei Belastung auf. Dieses hepatopulmonale Syndrom ist nicht die Lungenerkrankung wie beim erwachsenen Alpha, sondern sind Lungenprobleme, die durch eine Leberzirrhose entstehen.

Ärztin hört Kind ab

Ein AATM kann auch dadurch auffallen, dass ein Kind bereits eine Lebererkrankung wie Mukoviszidose, Gallengangsatresie oder Virushepatitis hat und der Verlauf dort atypisch und deutlich schlechter ist. Leider nimmt auch die Fettleberkrankheit bei Kindern dramatisch zu und es ist zu befürchten, dass die davon betroffenen Kinder einen schlechteren Verlauf haben, wenn sie zusätzlich einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel haben.

Wichtig ist, dass es bei Kindern und Jugendlichen noch keine richtige Lungenmanifestation gibt und dieses Thema in der Zuständigkeit des Kinderarztes eigentlich nicht vorkommt.

Ist die Diagnose sicher?

Für die Diagnosestellung ist wichtig, dass sich bei der Serumspiegelbestimmung die Gesunden (MM) und Betroffenen (ZZ) mit ihrem Serumspiegel nicht überschneiden. Ist ein Spiegel sehr niedrig, z.B. 0,3 g/l, kann es eigentlich kein MM sein. Andersherum kann es sich bei einem höheren Spiegel von z.B. 1,5 g/l nicht um einen homozygot Betroffenen handeln. Früher folgte nach dieser ersten Bestimmung zur Diagnosesicherung meist eine PI-Bestimmung (Phänotypisierung), bei der das Eiweiß im Blut charakterisiert wird. Heutzutage wird eher gleich die Genotypsierung gemacht, um durch einen Gentest die Genmutation nachzuweisen. Dieser Test kann durch einen für den Arzt kostenfreien Wangenabstrich, der im Alpha1 Zentrum in Marburg ausgewertet wird, durchgeführt werden.

Die Frage nach einer Leberbiopsie zur Diagnosestellung stellt sich für Kinder in den meisten Fällen nicht und ist nur in Zweifelsfällen angezeigt, wenn z.B. Verdacht auf eine weitere Lebererkrankung besteht.

Wird mein Kind (schwer) krank werden, wie ist das Risiko (Prognose)?

In den 70er Jahren wurden 200.000 Kinder in Schweden gescreent und mehr als 30 Jahre beobachtet, wie ihre gesundheitliche Entwicklung war. Mit Abstand am häufigsten war zu beobachten, dass die Kinder als Säuglinge zwar stark erhöhte Leberwerte hatten, diese Werte aber im Lauf der Kindheit zurückgingen und sich normalisierten. Bei maximal 3–5 % aller PI*ZZ-Kinder kam es zu schwerwiegenderen Komplikationen.

Es ist im Einzelfall kaum möglich, eine Prognose abzugeben. Deutlich auffällige Werte einiger Laborparameter (Thrombozyten, Bilirubin, PTT, gGT, CHE, GOT) weisen darauf hin, dass der Verlauf schwieriger sein könnte, eine deutliche Vergrößerung der Leber und Milz nach dem ersten Lebensjahr könnte ebenfalls darauf hindeuten. Sehr selten und ernst ist die Entwicklung einer portalen Hypertension (das Blut aus dem Bauchraum kann nicht mehr durch die bereits vernarbte Leber durchfließen, der Druck im Blut erhöht sich im Bauchraum und das Blut fließt woanders lang).

Wenn mit etwa vier Jahren gesundheitlich alles in Ordnung ist und sich die Leber außer gering erhöhten Leberwerten normal zeigt, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass im Kinder- und Jugendalter noch etwas passiert.

„Eine Therapie ist meist nicht erforderlich! “

Gibt es Behandlungsmöglichkeiten?

Was kann ich selbst für mein Kind tun? Eine Therapie ist meist nicht erforderlich! Symptomatisch können betroffene Säuglinge mit dem Gallensäurepräparat Ursodeoxycholsäure behandelt werden. Bei den sehr selten fortgeschritten erkrankten Kindern müssen ggf. ein Mangel bei den fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K) ausgeglichen, eine energiereiche Ernährungstherapie oder verschiedene Prinzipien gegen Juckreiz durchgeführt werden.

Vorbeugend sollte ein Normalgewicht angestrebt werden und das Kind Sport machen und insgesamt aktiv sein. Ein frühzeitiges Vorgehen gegen Fieber und Entzündungen ist plausibel. Die gefährdete Leber sollte durch die empfohlenen Impfungen plus zusätzlich Hepatitis A geschützt und leberschädigende Stoffe vermieden werden. Bezüglich der Lunge bleibt die wichtigste Botschaft: keine Rauch- und Staubexposition – und dies konsequent von Kindheit an!

Die einzige kurative (heilende) Therapie ist eine Lebertransplantation. Bei nur 3–4 % der an der Leber transplantierten Kinder ist die Ursache ein AATM und es gibt nur wenige Indikationen, wo eine entsprechende Lebertransplantation in Erwägung gezogen wird. Das Langzeitüberleben liegt bei über 90 %.

Therapieansätze wie eine zukünftige Gentherapie und andere sind noch längst nicht absehbar. Entsprechende Medikamente, die im Gespräch sind, befinden sich derzeit noch in der Theorie und kommen später sowieso zunächst in eine Erprobung für Erwachsene, ehe sie bei Kindern angewendet werden. Auch die Augmentationstherapie (Substitution von Alpha-1) spielt nach dem vorher Gesagten bei der Behandlung von betroffenen Kindern keine Rolle.

Welche Kontrollen sind erforderlich?

  • Regelmäßige Blutentnahmen
  • Regelmäßige Ultraschalluntersuchungen

Zu Beginn alle paar Wochen / Monate, dann seltener und ab Schulalter genügt es meist, das Kind alle ein bis zwei Jahre dem betreuenden Kinderarzt vorzustellen.

Was mache ich, wenn der Alpha-1-Spiegel meines Kindes nur leicht erniedrigt ist?

Würde ein Kinderarzt jedes ihm vorgestellte Kind auf AATM testen, würde er durchaus hin und wieder ein heterozygot betroffenes Kind entdecken, denn man geht davon aus, dass jeder 40. bis 50. Mensch Träger der Mangelvariante ist. Da es aber glücklicherweise eigentlich kein Krankheitsrisiko im Kindes- und Jugendalter gibt, sind außer der Beratung hinsichtlich des Rauchverzichts keine weiteren Maßnahmen notwendig.

Wie kann ich noch mehr über die Zusammenhänge lernen?

Eine Gruppe von Alpha-1-Kinder betreuenden Kinderärzten hat 2022 in der Monatsschrift Kinderheilkunde ein Update zum Alpha-1-Antitrypsin-Mangel geschrieben.

Einen Überblick über mögliche Lebererkrankungen bei Kindern und Jugendlichen gibt der Verein Leberkrankes Kind e.V.

Youtube Dowload Liste Newsletter Kontakt