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Monika Tempel, so erschienen im Alpha1-Journal 1/2023.
Eigentlich ist es so einfach, ein idealer Patient zu sein: In der Leitlinie nachlesen, was bei einer Erkrankung nachweislich wirksam ist, die Empfehlungen zum Selbstmanagement umsetzen, dadurch den Krankheitsverlauf selbstverantwortlich positiv beeinflussen und das Wohlbefinden steigern. Doch leider ist das meist leichter gesagt als getan und klingt so oft nach „Schweiß und Tränen“…
Was die Leitlinie empfiehlt
Die bedeutendste Manifestation bei homozygoten Alpha-1- Patienten ist eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Es ist also naheliegend, sich als Alpha-1-Betroffener mit den Empfehlungen der Nationalen Versorgungs- Leitlinie COPD (NVL COPD 2021) auseinanderzusetzen [1].
Dort findet man im Kapitel Nicht-medikamentöse Therapien unter anderem folgende starke Positiv-Empfehlungen:
- Atemphysiotherapie
- körperliche Aktivität
- psychosoziale Interventionen
Steigt man bei diesen Empfehlungen in die Tiefe, so stößt man auf nachweislich hilfreiche Interventionen. Leider klingen die zahlreichen Hinweise zur praktischen Umsetzung meist technisch und anstrengend.
Die folgenden Ausführungen sollen Wege aufzeigen, wie diese Empfehlungen spielerisch und dennoch effektiv umgesetzt werden können. Dazu stelle ich für die evidenzbasierten Positiv-Empfehlungen der NVL COPD jeweils ein nachweislich wirksames Angebot aus der Welt der Kreativen Therapie vor.
Bist Du dafür offen und bereit? Denn Offenheit und Bereitschaft sind die Grundvoraussetzungen für den ersten Schritt zum Engagement.

Lippenbremse mit Lust
Unter dem Punkt Atemphysiotherapie rät die NVL COPD zu Selbsthilfetechniken wie der dosierten Lippenbremse und atmungserleichternden Körperstellungen.
Genau diese Selbsthilfetechniken kann man effektiv, dauerhaft und lustvoll zugleich in die Praxis umsetzen, mit Programmen wie beispielsweise Singen für die Lunge (SLH = Singing for Lung Health) oder in einem Chor der Atemlosen.
Was zum Thema Singen für die Lunge wissenschaftlich nachgewiesen ist [2, 3]:
- Singen verbessert die Lebensqualität (körperliche Komponente im Fragebogen SF-36) und die Funktion der Atemmuskulatur
- Eine aktuelle Studie weist zudem positive Effekte eines 10-Wochen-SLH-Programms auf die 6-Minuten-Gehstrecke nach
- Außerdem bestätigen die Chormitglieder, dass sie die Teilnahme am SLH-Programm als angenehme Freizeitbeschäftigung empfinden
- Es werden keine unangenehmen Nebenwirkungen berichtet
- Eine geringe Abbruchrate (nur etwa ein Fünftel) spricht für eine hohe Akzeptanz und Zufriedenheit der Teilnehmer
Impuls für die Praxis: Wäre es angesichts dieser nachgewiesenen positiven Effekte nicht eine reizvolle Vorstellung, als Alpha-1-Patient Ausschau nach einem Chor der Atemlosen zu halten oder mit anderen Betroffenen eine Gruppe Singen für die Lunge zu gründen?
Auf´s Parkett für mehr Puste
Körperliches Training wird in der Nationalen Versorgungs- Leitlinie COPD als erste nicht-medikamentöse Maßnahme empfohlen. Erfreulicherweise berücksichtigt die NVL COPD bei ihrer Empfehlung, dass es häufig Hemmungen und Ängste bei Patienten gibt, die diese davon abhalten, körperliche Aktivität in den Alltag einzubauen. Diese Barrieren „sollen aktiv angesprochen und gegebenenfalls Lösungsansätze gesucht werden“.
Eine mögliche Anregung zu einer individuell passenden körperlichen Aktivität und ein entsprechender attraktiver Lösungsansatz könnte beispielsweise ein spielerisches Angebot wie kreativer Tanz sein (etwa im Rahmen einer Pneumologischen Rehabilitation).
Welche Vorteile bietet ein Bewegungs-Programm in Kombination mit kreativem Tanz (PT+KT) gegenüber einer Standard-Physiotherapie (PT)?
Eine aktuelle randomisiert kontrollierte Studie [4] weist erstaunliche Ergebnisse nach:
- Ein Bewegungs-Programm in Kombination mit Kreativem Tanz (PT+KT) verbessert nicht nur die Lungenfunktion und die periphere Muskelkraft, sondern auch die Stabilität der Körperhaltung und das Gleichgewichtsgefühl.
- Außerdem sind die Verbesserungen der körperlichen Leistungsfähigkeit (6-Minuten-Gehtest), der kognitiven Leistungsfähigkeit (MoCA-Score) und im CAT (COPD Assessment Test) in der PT+KT-Gruppe ausgeprägter als in der Standard-Physiotherapie-Gruppe.
- Die Tatsache, dass kein Teilnehmer das achtwöchige Bewegungs- plus Tanz-Programm abgebrochen hat, werten die Autoren als Zeichen für eine hohe Motivierungskraft und für Freude und Spaß an dieser Form des körperlichen Trainings.
Bereits 2019 empfahl ein Forscherteam [5] aufgrund der verheißungsvollen Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie zum kreativen Tanz für COPD-Patienten: „Let´s Boogie!“
Impuls für die Praxis: Gibt es jetzt eigentlich noch Argumente gegen ein Tänzchen?
(Ganz nebenbei: Wie mir berichtet wurde, war der Alpha- 1-Jubiläums-Infotag 2023 quasi eine direkte Antwort auf meine rhetorische Frage: Es wurde wohl getanzt, bis das Parkett bebte! Schade, dass ich nicht mitrocken konnte.)

Sidney De Haan Research Center for Arts and Health

Hospitalnews.com
Leben, schreiben, atmen!
Was hat Therapeutisches Schreiben mit der NVL COPD zu tun? Unter dem Punkt psychosoziale Interventionen wird die sogenannte Bibliotherapie (Therapeutisches Lesen und Schreiben) zwar nicht ausdrücklich erwähnt; es wird aber auf die positiven Auswirkungen von psychologischen Verfahren bei depressiven Symptomen und Ängsten als COPD-Begleiterkrankungen verwiesen.
Da gerade Ängste und Depressionen bei COPD-Patienten häufig auftreten und sich auf den Krankheitsverlauf und die Prognose auswirken, ist die Bedeutung von psychologischen Angeboten offensichtlich.
Bei ausgeprägter psychischer Begleiterkrankung sind natürlich spezielle therapeutische Maßnahmen notwendig (Fach-Psychotherapie, Psychosomatik, Psychiatrie). Die NVL COPD verweist jedoch darauf, daß oft bereits niedrigschwellige psychosoziale Interventionen ausreichen (z. B. verbale Interventionen, Entspannungsverfahren, Stressbewältigungstechniken).
Ein wirksames Angebot aus dem Bereich niedrigschwellige Psychosoziale Interventionen stellt das Therapeutische Schreiben dar.
Bereits 1999 wurde in einer randomisierten Interventions- Studie der positive Effekt des Therapeutischen Schreibens auf die Lungenfunktion bei stressbelasteten Asthma-Patienten nachgewiesen [6].
Im Projekt Leben des Atems (Life of Breath, 2015 bis 2020) arbeiteten Elspeth Penny und Alice Malpass mit einem Brief an den Atem. Bei den Teilnehmern des Gruppenprogramms zeigten sich erstaunlich positive Auswirkungen auf die körperliche und psychische Lebensqualität [7].
Die Methode des Briefschreibens habe ich als Selbsthilfe- Angebot leicht abgewandelt und im Alpha-1-Journal 2022/2 vorgestellt.
Ob als Motivationshelfer bei allgemeiner Antriebslosigkeit, als Distraktor (Ablenker) bei Ängsten oder als Beruhiger zum Stressabbau: Therapeutisches (Brief)-Schreiben ist eine wirkungsvolle Methode – wenn Du Dich darauf einlässt…
Leo E. Kröll, Alpha-1-Betroffener, hat sich auf die Methode eingelassen und einen beeindruckenden Brief an eine Person der Geschichte verfasst:
Liebe, sehr geehrte Frau Roosevelt,
Sie sollen gesagt haben „Mach jeden Tag eine Sache, die dir Angst macht“.
Wenn ich mir Ihr Leben so betrachte, dann hat es vermutlich einige Dinge gegeben, die Ihnen Angst gemacht haben und die Sie trotzdem oder gerade deshalb angegangen sind. Ob hierin das Geheimnis Ihres erfüllten, interessanten und abwechslungsreichen Lebens lag, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich könnte es mir sehr gut vorstellen.
Erlauben Sie mir diesen Wahlspruch etwas abzuändern, weil ich damit einen wesentlichen Teil meines Lebens gestaltet habe und noch gestalte: „Mach jeden Tag eine Sache, die dir unangenehm oder lästig ist“.
Damit bin ich bisher gut gefahren. Beim Öffnen der Augen am Morgen, beim Start in den beruflichen Alltag oder bei privaten oder beruflichen Treffen habe ich immer versucht, zuerst die Dinge anzugehen, die mir lästig oder unangenehm erschienen.
Denn dann waren sie vom Tisch, sie drückten mir nicht mehr auf die Seele und ich konnte und kann befreit und mit Kraft an die übrigen Aufgaben gehen.
Dieses Tagesmotto ergänze ich durch die Einstellung „Was gemacht ist, ist gemacht“.
Hinausschieben und Weglegen erledigen keine Aufgabe und der Berg der unerledigten Dinge, die zu erledigen sind, wächst und wächst. Daher, auf den Stapel der täglichen Aufgaben kommen die lästigen und unangenehmen ganz nach oben und dann kann ich nach der Erledigung mit Lust die übrigen Verpflichtungen angehen.
Ob das vollständig mit dem Sinn des Ihnen zugeschriebenen Leitspruches deckungsgleich ist, vermag ich nicht zu sagen, aber ich denke, es geht in die gleiche Richtung.
Gerne hätte ich mich darüber mit Ihnen ausgetauscht, aber das geht leider im Hier und Jetzt nicht. Vielleicht an anderer Stelle. In diesem Sinne, danke für Ihr Wirken und Gestalten.
Mit herzlichen Grüßen Leo
Danke schön, lieber Leo E. Kröll, für den schönen Text und für Ihre Erlaubnis zum Abdruck mit Namensnennung. Vielleicht ermutigt Ihr Werk andere „Alphas“ zu einem Versuch mit einer der vorgestellten kreativen Methoden und lockt sie: in den Chor, auf´s Parkett, zum Schreibgerät.
Möglicherweise gibt es weitere kreative Methoden mit positiven Effekten auf das körperliche und psychische Wohlbefinden. Eine aktuelle Studie zum Mundharmonika- Spiel bei COPD-Patienten präsentiert verheißungsvolle Ergebnisse [8]. Der Phantasie für die Erprobung kombinierter kreativer Ansätze sind zudem keine Grenzen gesetzt.
Denn das Fazit für die Praxis lautet: Atemphysiotherapie, körperliches Training und psychosoziale Interventionen wirken umso besser, je mehr sie nebenbei und mit Spaß an der Freud geschehen!
In diesem Sinne Offenheit und Bereitschaft für ein entschiedenes und nachhaltiges Engagement wünscht Monika Tempel
Literaturverzeichnis:
[1] https://www.leitlinien.de/themen/copd/2-auflage
[2] Fang, X., Qiao, Z., Yu, X., Tian, R., Liu, K., & Han, W. (2022). Effect of Singing on Symptoms in Stable COPD: A Systematic Review and Meta-Analysis. International Journal of Chronic Obstructive Pulmonary Disease, 2893-2904.
[3] Kaasgaard, M., Rasmussen, D. B., Løkke, A., Vuust, P., Hilberg, O., & Bodtger, U. (2022). Physiological changes related to 10 weeks of singing for lung health in patients with COPD. BMJ Open Respiratory Research, 9(1), e001206.
[4] Kaya, M., Gurses, H. N., Ucgun, H., & Okyaltirik, F. (2023). Effects of creative dance on functional capacity, pulmonary function, balance, and cognition in COPD patients: A randomized controlled trial. Heart & Lung, 58, 13-20.
[5] Wshah, A., Butler, S., Patterson, K., Goldstein, R., & Brooks, D. (2019). “Let‘s Boogie”: Feasibility of a dance intervention in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Journal of cardiopulmonary rehabilitation and prevention, 39(5), E14-E19.
[6] Smyth, J. M., Stone, A. A., Hurewitz, A., & Kaell, A. (1999). Effects of writing about stressful experiences on symptom reduction in patients with asthma or rheumatoid arthritis: A randomized trial. Jama, 281(14), 1304-1309.
[7] Penny, E., & Malpass, A. (2021). Dear Breath: using story structure to understand the value of letter writing for those living with breathlessness– a qualitative study. Arts & Health, 13(1), 20-34.
[8] Lewis, A., Conway, J., Middleton, J., Startup, C. K., & Wyatt, J. (2022). Playing the harmonica with chronic obstructive pulmonary disease. A qualitative study. Chronic Respiratory Disease, 19, 14799731221083315.