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Zusammenfassung: Prof. Gratiana Steinkamp, so erschienen im Alpha1-Journal 1/2023.
Alpha1-Antitrypsin (AAT) ist ein sehr wichtiges Protein im Körper und gehört zu den Akute-Phase-Glykoproteinen. AAT reguliert Entzündungen und steigt daher um das 4- bis 5-fache an, wenn der Körper mit Infektionen oder Entzündungen zu kämpfen hat. Als Proteaseinhibitor unterdrückt AAT viele Proteasen, die Lungen und anderes Gewebe zerstören können. Darüber hinaus steigert AAT die körpereigenen Abwehrkräfte unabhängig von der Proteasehemmung, da es weitreichende immunmodulatorische Wirkungen hat.
Das für die Herstellung von AAT verantwortliche Gen ist SERPINA1. Es befindet sich auf dem menschlichen Chromosom 14. Dieses Gen sorgt im Falle einer Entzündung dafür, dass AAT sehr schnell gebildet wird und schließlich Konzentrationen von mehr als 1-2 Gramm AAT pro Liter im Blut zirkulieren. Ein AAT-Mangel entsteht, wenn einzelne Aminosäuren im AAT-Protein verändert sind. Wurde beispielsweise Glutaminsäure an Position 264 durch Valin ersetzt, entsteht die sogenannte S-Variante, oder wird Lysin an Position 342 ersetzt, entsteht die Z-defiziente Variante. Der größte Teil von AAT, etwa 70 %, wird in der Leber produziert. Darüber hinaus enthalten viele andere Gewebe und Zellen das SERPINA1-Gen. Beispielsweise können auch Lunge, Niere oder Haut AAT bilden.
Frühe Forschungen zum AAT
Die ersten Proteaseinhibitoren wurden Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt. Im Jahr 1894 beschrieben die italienischen Forscher Fermi und Pernossi erstmals eine „Anti- Trypsin-Aktivität“ im Blut. Ein halbes Jahrhundert später entwickelte Arne Tiselius im schwedischen Uppsala die Elektrophorese, eine Methode, mit der sich die Proteine im Blut trennen und voneinander unterscheiden lassen. In der Proteinfraktion der α1-Globuline wurde erstmals 1955 von Herman Schultze aus Marburg ein Inhibitor des α1-Antitrypsins beschrieben. Das Protein AAT selbst wurde drei Jahre später isoliert.
Dem Forscher C. B. Laurell aus Malmö, Schweden, gelang es, die Proteine im Blut noch genauer zu trennen. Mittels Elektrophorese untersuchte er Blutproben von vielen verschiedenen Patienten und stellte fest, dass einigen Menschen mit Lungenerkrankungen die entsprechende Bande in der α1-Region fehlte. Schnell wurde klar, dass dies vor allem Angehörige bestimmter Familien betraf. Dies sprach für eine familiäre, genetische Besonderheit. Tatsächlich hatten die Betroffenen häufig ein Lungenemphysem. Laurell und Eriksson veröffentlichten erstmals vor 60 Jahren, nämlich im Jahr 1963, den Zusammenhang zwischen AAT-Mangel und Emphysementwicklung.
Nicht nur die Lunge, sondern auch die Leber, ist vom AATMangel betroffen. Obwohl AAT in den Leberzellen produziert wird, gelangt es nicht in den Blutkreislauf. Vielmehr reichert es sich in den Leberzellen an und wird als Einschlusskörperchen gespeichert. Betroffene Patienten können eine Leberzirrhose und Leberkrebs entwickeln.
Das heute noch verwendete Pi-System (Protease-Inhibitor- System) wurde 1970 entwickelt. Es unterscheidet die Varianten von AAT nach ihrer Fähigkeit, sich im elektrischen Feld mehr oder weniger schnell zu bewegen. Dadurch werden bei der isoelektrischen Fokussierung (einer Technik zur Trennung verschiedener Moleküle durch Unterschiede in ihrem isoelektrischen Punkt) unterschiedliche Bänder gebildet. Man unterscheidet zwischen M für mittel, S für langsam, Z für sehr langsam und F für schnell. Darüber hinaus unterscheiden sich in den AAT-Molekülen spezielle Zuckerstrukturen, sodass unterschiedliche sogenannte Glykoformen mit Gesundheit und Krankheiten in Zusammenhang gebracht werden können.
„Aktuelle Studien machen Hoffnung, dass auch Betroffene der Hautkrankheit Pannikulitis von AAT-Infusionen profitieren könnten.“
Therapie mit AAT
Nachdem klar wurde, dass manche Menschen mit Emphysem einen AAT-Mangel haben, wurde versucht, dem Körper das fehlende AAT zuzuführen. Die erste Veröffentlichung hierzu stammt aus dem Jahr 1981 des amerikanischen Forscherteams um Ronald Crystal (siehe Vortrag von Prof. Vogelmeier). Tatsächlich erhöhte die Infusionsbehandlung den AAT-Spiegel im Blut. Diese Ersatztherapie wird seit Jahrzehnten bei Patienten mit AAT-Mangel-bedingtem Emphysem eingesetzt, sofern der Patient bestimmte Voraussetzungen erfüllt.
Aktuelle, kleine Studien machen Hoffnung, dass auch Betroffene der Hautkrankheit Pannikulitis von AAT-Infusionen profitieren könnten. Es werden kleine Berichte über Menschen mit AAT-Mangel veröffentlicht, die mit einer AAT-Therapie gegen Bronchiektasen, Asthma und andere Krankheiten behandelt werden. Da AAT zunehmend bei Infektionen und Verletzungen entsteht, wären auch andere Einsatzgebiete der AAT-Therapie denkbar. Doch im ersten Schritt müssen Tiermodelle zeigen, ob die AAT-Anwendung erfolgreich sein wird, bevor mit Humanstudien begonnen werden kann.
Neben der klassischen Infusionstherapie mit AAT wird auch die Behandlung durch Inhalation erprobt. Ein weiteres Anwendungsprinzip wurde erst in einer kleinen Studie getestet, nämlich eine Creme mit 5-10 % AAT, die auf die Haut aufgetragen wird. Auch diese Möglichkeit muss weiter geprüft werden.
AAT-Substitution und Lungentransplantation
Wenn die Lunge sehr stark geschädigt ist, können Menschen mit AATM eine Lungentransplantation durchführen lassen. Nach dem Eingriff wird die Substitutionstherapie mit AAT beendet. Im Transplantationszentrum Hannover konnten Patienten verglichen werden, die vor der Operation entweder regelmäßig AAT erhalten hatten oder zuvor nicht mit AAT behandelt worden waren. Das Überleben nach der Transplantation unterschied sich zwischen diesen Gruppen erheblich, da Menschen ohne vorherige Substitutionstherapie länger lebten als diejenigen, die jahrelang AAT-Infusionen erhalten hatten: Nach 10 Jahren lebten noch 69 % der Patienten, die vor der Transplantation keine Substitution erhalten hatten, aber nur 26 % der Transplantierten mit vorheriger Substitution. Die Gründe für dieses überraschende Ergebnis konnten in der Studie nicht identifiziert werden. Möglicherweise unterschieden sich die beiden Patientengruppen in bestimmten Merkmalen und hatten daher unterschiedliche Prognosen. Für diejenigen Patienten, die diese Therapie vor der Lungentransplantation erhalten haben, kann es wichtig sein, die Substitutionstherapie nach einer Lungentransplantation fortzusetzen.
In Tiermodellen zeigten Mäuse, die nach einer Lungentransplantation mit AAT behandelt wurden, weniger Abstoßungsreaktionen. Das haben Forscher in Hannover nachgewiesen. Mittlerweile überlegen einige Experten, ob Patienten nach einer Lungentransplantation weiterhin mit AAT substituiert werden sollten. Es gibt jedoch keine guten Studien zu diesem Thema.
Neuigkeiten aus der experimentellen Forschung
Normales AAT hat eine spezifische räumliche Struktur. Bei Menschen mit Z-Typ ist die Anordnung der Moleküle verändert: Mehrere Moleküle sammeln sich an und bilden große „Klumpen“, sogenannte Polymere. Solche Ansammlungen von AAT vom Z-Typ kommen in vielen, aber nicht allen Leberzellen vor. Polymere werden auch im Blut aller Z-Typ- AAT-Patienten nachgewiesen. Die Frage ist, ob dabei ein klinisches Problem vorliegt oder nicht.
Neue Untersuchungen bezogen sich auf Kinder mit AATM. Einige von ihnen entwickeln als Säuglinge eine schwere Lebererkrankung mit Leberzirrhose und benötigen sogar eine Lebertransplantation. Bei anderen kommt es bei Neugeborenen zu einer Verstopfung der Gallenwege der Leber, einer Cholestase, die sich aber später wieder erholt. Eine dritte Gruppe bleibt ein Leben lang frei von Leberproblemen. Als Forscher in einer kleinen Studie Kinder untersuchten, stellten sie anhand von Leberbiopsien fest, dass in allen drei Gruppen Polymere in der Leber vorhanden waren. Die Existenz von Polymeren in der Leber alleine ist deshalb nicht ausschlaggebend, sondern es müssen weitere Umwelt- und genetische Faktoren hinzukommen, beispielsweise Veränderungen im Fettstoffwechsel.
Bei AATM-Erwachsenen sind verschiedene Risikofaktoren bekannt, die im Laufe des Lebens zu einer Leberzirrhose führen können. Besonders wichtig sind Alkoholkonsum und Virusinfektionen der Leber wie Hepatitis und Diabetes. Mit modernen Methoden ist es bereits möglich, die Bildung von Z-AAT-Polymeren zu verhindern. Für Patienten mit der Z-Mutation bestand eine der Ideen der Forscher darin, die Synthese von AAT zu hemmen, sodass weniger Z-AAT gebildet wird. In einer kleinen Phase-2-Studie verabreichten sie 16 Menschen mit Lebererkrankungen die Substanz Fazirsiran. Es zeigte sich, dass die Anreicherung von Z-AAT in der Leber und im Blut unter dieser Behandlung deutlich zurückging. Dies konnte auch bei der histologischen Untersuchung der Leberbiopsie festgestellt werden. Allerdings traten bei fast allen Patienten unerwünschte Wirkungen wie Rücken- oder Brustschmerzen, Durchfall, Schwindel oder Atemnot auf. Der Hersteller hat inzwischen eine größere Studie gestartet, um die Vor- und Nachteile von Fazirsiran besser bewerten zu können.
Z-AAT-Polymere wurden im Blut von Menschen mit AATM und einer Lungenerkrankung untersucht. Patienten mit niedrigen Polymerkonzentrationen hatten weder bessere noch schlechtere Lungenfunktionswerte als solche mit viel Polymer; es bestand daher kein Zusammenhang zum Ausmaß der Lungenschädigung. Forscher arbeiten weiterhin an Polymeren, um ihre Funktionen besser zu verstehen. Wenn man schließlich bedenkt, dass die Wikinger AATM vor mehr als 2.000 Jahren auf der Welt verbreiteten, muss man sich fragen, warum die Krankheit auch heute noch auftritt. Es ist möglich, dass der AATM nicht nur Probleme bereitet, sondern unseren Vorfahren auch unter besonderen Umständen von Nutzen gewesen sein könnte, etwa beim Schutz vor Kontaminationen durch unverarbeitete Lebensmittel.
Ausblick auf klinische Studien
Abschließend stellte die Referentin einen Zeitplan für einen Überblick über die Studienprojekte am Menschen vor, wie sie auf dem 8. Patientenkongress in Dublin im Jahr 2023 vorgestellt wurden. Verschiedene Pharmaunternehmen arbeiten derzeit an sehr unterschiedlichen Themen. Neue Therapien werden getestet, etwa Antiproteasen in Tablettenform, die subkutane Verabreichung von AAT mit einer Spritze unter die Haut oder die Gentherapie. Mit unterschiedlichsten Ansätzen wird versucht, den AAT-Mangel in den Griff zu bekommen.