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Dr. Ing. Heinz Stutzenberger, so erschienen im Alpha1-Journal 2/2023.

Ein wesentliches Ziel der EU ist der reibungslose Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen ihren Mitgliedsländern. Ein wichtiger Beitrag zur Erreichung dieses Zieles ist die Vereinheitlichung von Vorschriften und Regelungen in den wesentlichen Wirtschaftsbereichen, zu denen auch das Gesundheitswesen zählt.

Zu den vielen unterschiedlichen Produkten, die innerhalb des Gesundheitswesens erzeugt und ausgetauscht werden, gehören auch die „Substanzen menschlichen Ursprungs“, auf Englisch „Substances of Human Origin“, abgekürzt „SoHO“. Mit Ausnahme kompletter Organe fallen darunter alle Stoffe, die dem menschlichen Körper entnommen werden, z. B. Haut, Muttermilch, Ei- und Samenzellen, Stammzellen, Knochenmark, Blut und Blutplasma. Die Sicherheit dieser Stoffe, aber auch ihrer Spender und Empfänger, auf einem hohen Standard zu vereinheitlichen, ist das Ziel der SoHO-Verordnung. Sie wird gerade innerhalb der zuständigen EU-Gremien erarbeitet und nach ihrer Verabschiedung, voraussichtlich im 2. Quartal 2024, muss von allen Mitgliedsstaaten verbindlich übernommen und umgesetzt werden.

Sowohl das Blutplasma als auch die daraus gewonnenen Produkte, wie z. B. auch das für die Substitutions- und Augmentationstherapie benötigte Alpha-1-Antitrypsin, sind innerhalb der EU-Staaten ein knappes Produkt. Mit Deutschland, Österreich, Tschechien und Ungarn wird in nur vier Staaten der Bedarf an Plasma gedeckt. Dies gelingt, weil in diesen Ländern zwei unterschiedliche Spendeformen unabhängig nebeneinander existieren:

  • öffentliche Blutspende-Einrichtungen wie z. B. das Rote Kreuz, die besonders in ländlichen Gebieten populär sind, wo die Blutspendedienste in regelmäßigen mehrmonatigen Abständen Termine in Schulen oder Turnhallen anbieten
  • privatwirtschaftlich betriebene Plasmaspende-Zentren, die sich nur in städtischen Ballungsgebieten mit hoher Besuchsfrequenz lohnend betreiben lassen

Alle anderen EU-Staaten sind – ebenso wie die EU als Ganzes – unterversorgt und massiv auf Importe aus den USA angewiesen. Die Instabilität dieser Versorgungskette wurde im Verlauf der Corona-Pandemie offensichtlich, wo der Nachschub aus USA eingeschränkt war und es anschließend zu einem Versorgungsengpass einiger Plasmaprodukte in Europa kam. Aus dieser Erfahrung wurde die Lehre gezogen, dass Europa bei der Versorgung mit Blutplasma und daraus hergestellten Produkten zum Selbstversorger werden muss. Bisher sind Maßnahmen zur Erreichung dieser Selbstversorgung kaum erkennbar, geschweige denn befinden sich bereits in Umsetzung. Gerade die mit der begrüßenswerten Zielsetzung der Erhöhung der Sicherheit erarbeitete SoHO-Verordnung enthält in der vom EU-Parlament am 12.09.2023 in erster Lesung verabschiedeten Fassung einige wenige Passagen, die eine Erreichung der Selbstversorgung mit Blutplasma erschweren bzw. sogar verhindern werden:

Zum einen wird die Plasmaspende eingeordnet als erhebliches Gesundheitsrisiko für den Spender

  • dahinter steht die Vermutung, dass durch den häufigen Entzug von Blutbestandteilen die Konzentration derselben im Spenderblut unter einen für die Gesunderhaltung notwendigen Wert absinkt (dazu muss man wissen, dass Plasma in Deutschland bis zu 60-mal pro Jahr gespendet werden darf, weil es schnell in der Leber nachproduziert wird; Vollblut wird nur langsam in den großen Knochen nachgebildet und kann deswegen pro Jahr nur 4- (Frauen) bzw. 6-mal (Männer) gespendet werden)
  • statistische Auswertungen haben aber gezeigt, dass selbst bei einer doppelt so hohen wie zulässigen Spendefrequenz keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Spender zu verzeichnen sind; die Konzentrationen der relevanten Blutbestandteile sinkt zwar etwas ab, bleiben aber auf einem zur Gesunderhaltung ausreichenden Niveau
  • es gibt sogar gute Gründe, die dafür sprechen, dass das Gesundheitsrisiko der Spender sinken: Zum einen, weil sie sich typischerweise einen gesünderen Lebensstil aneignen und z. B. auf exzessiven Alkoholgenuss und Rauchen verzichten, und zum anderen, weil ihr Blut in großer Häufigkeit engmaschig untersucht wird und dadurch Erkrankungen frühzeitig erkannt werden

zum anderen sind die Vorgaben zur Kompensation der Aufwendungen des Spenders sehr eng gefasst

  • kompensiert werden dürfen nur die tatsächlichen Unkosten wie z. B. eine Fahrkarte
  • nicht kompensiert werden darf z. B. der Zeitverlust des Spenders bei der Plasmaentnahme und der An- und Abreise und die Unannehmlichkeiten des körperlichen Eingriffes
  • die in Deutschland praktizierte Form der Aufwandsentschädigung mit einem Fixbetrag wäre danach nicht mehr erlaubt

"Sowohl das Blutplasma als auch die daraus gewonnenen Produkte sind innerhalb der EU-Staaten ein knappes Produkt.“

In der Vergangenheit haben Alpha1 Deutschland und andere Vereine betroffener Patienten mit Positionspapieren, Stellungnahmen und offenen Briefen an Politiker auf solche Missstände und Problemlagen hingewiesen. Die Resonanz war aber meist gering, bisweilen blieb auch jedwede Antwort aus. Bei der Suche nach wirksameren Mitteln der Einflussnahme stießen wir auf die Möglichkeit der Petition bei der EU. Im Gegensatz zu Petitionen auf nationaler Ebene wird dafür keine Mindestzahl an Unterstützern benötigt. Auf EU-Ebene kann eine Petition von einer Einzelperson mit Wohnsitz in der EU eingereicht werden, bei Bedarf auch im Namen einer in der EU ansässigen Organisation.

So haben wir uns dann entschlossen, den Weg einer EU-Petition zu beschreiten, um auf die aus unserer Sicht problematischen Formulierungen hinzuweisen und auf Abhilfe zu drängen. Die zentralen Forderungen unserer Petition lauten:

  • Verzicht auf die Einordnung der Blutplasmaspende als gesundheitliches Risiko für den Spender
  • Zulassung von Kompensationsmöglichkeiten für die Aufwendungen der Spender in einer Höhe, dass neben dem öffentlichen Sektor die Einrichtung von Spendezentren in privatwirtschaftlicher Trägerschaft attraktiv wird bzw. bleibt
  • stärkere Berücksichtigung der Interessen der Empfänger von Blutplasma-Produkten in der SoHO-Verordnung, insbesondere die Sicherheit der Versorgung mit Blutplasmaprodukten in Europa ohne Abhängigkeit von Importen

Den vollständigen Text der Petition können Sie in unserem Internet-Auftritt nachlesen.

Das Sekretariat des EU-Petitionsausschusses gibt leider keine Auskünfte zur Bearbeitungszeit einer Petition. Nachdem die SoHO-Verordnung bereits in wenigen Monaten verabschiedet werden soll, drängte die Zeit und wir reichten unsere Petition am 12.09.23 ein.

Das war auch der Tag, an dem das EU-Parlament seinen textlichen Vorschlag für die Verordnung in erster Lesung verabschiedete, siehe oben. Jetzt werden noch die EUKommission und die Länder angehört, und danach wird der finale Text zwischen allen Beteiligten abgestimmt und die Verordnung voraussichtlich im zweiten Quartal 2024 erlassen. Wir sind sehr gespannt, wie es weitergeht. Die nächsten Schritte sind folgende:

  • zunächst wird die Petition im Sekretariat des Petitionsausschusses in alle offiziellen EU-Sprachen übersetzt und dann dem Petitionsausschuss zusammen mit einer Empfehlung zur weiteren Behandlung zugeleitet
  • dieser entscheidet dann über die Annahme und das weitere Vorgehen
  • falls die Petition im Ausschuss behandelt werden soll, wird sie vorher veröffentlicht; nach der Veröffentlichung ist es möglich, seine Unterstützung zu bekunden; falls unsere Petition so weit kommt, werden wir natürlich um Unterstützung bitten

Wie auch immer es weitergeht: Wir werden Sie informieren!

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