AutorIn
Hilal Ersöz, Thoraxklinik Heidelberg, so erschienen im Alpha1-Journal 2/2024.
Gendermedizin ist initial aus der Frauenrechtsbewegung und der Frauengesundheitsforschung in den USA in den 1980er-Jahren entstanden. Mittlerweile nimmt es einen wichtigen Platz sowohl in der Wissenschaft als auch im klinischen Alltag ein und ist essenziell zur Verbesserung der Männer- und Frauengesundheit. Es untersucht die biologischen Unterschiede sowie die geschlechtsbezogenen soziokulturellen Einflüsse auf Krankheiten und Krankheitserleben.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Alpha 1- Antitrypsin-Mangel
Aufgrund der geringen Patientenzahlen in den einzelnen Ländern und Zentren ist es besonders schwierig, die geschlechtsspezifischen Aspekte seltener Krankheiten zu untersuchen, weswegen für den AATM keine aussagekräftigen Daten zu diesem Thema vorliegen. Daher war es unser Ziel, die Geschlechterfrage anhand des prospektiven internationalen Registers der European Alpha-1 Research Collaboration (EARCO) für Patienten mit AATM zu untersuchen.
Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Patientencharakteristika
Die Geschlechterfrage wurde hier im Speziellen an Patienten untersucht, die den Genotyp PiZZ aufwiesen. Männer dieser Kohorte hatten einen höheren BMI. Bei Frauen war die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Krankheit im Rahmen eines Familienscreenings diagnostiziert wurde, wohingegen die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit einer Lebererkrankung vorgestellt wurden, geringer war.
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Exposition
Im Vergleich zu den männlichen Studienteilnehmern waren Frauen häufiger Nie-Raucher oder gaben eine geringere Anzahl von insgesamt konsumiertem Nikotin, gemessen als Packungsjahre, an. Die Exposition gegenüber anderen inhalierbaren Substanzen wie Biomasse, Kokain, E-Zigaretten oder Marihuana war selten und wies keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf. Bei der beruflichen Exposition gab es jedoch wiederum Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Männer waren häufiger Gasen, Dämpfen, Staub, Asbest oder anderen Substanzen ausgesetzt als Frauen. Auch beim Alkoholkonsum gab es Unterschiede: Frauen gaben seltener aktiven Alkoholkonsum an, und die Zahl der konsumierten Einheiten an Alkohol pro Woche war geringer.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Lungen- und Lebererkrankungen, die mit Alpha- 1-Antitrypsin-Mangel assoziiert sind
Wenn man sich die Lungenerkrankungen anschaut, die in Zusammenhang mit einem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel stehen, hatten die Männer häufiger eine COPD, ein Lungenemphysem oder eine chronische Bronchitis, während die Teilnehmerinnen häufiger Bronchiektasen aufwiesen. In Hinblick auf die Lebererkrankung hatten männliche Teilnehmer häufiger eine Lebererkrankung, eine Leberzirrhose, eine Leberfibrose und eine Fettleber.
Abbildung 1: Geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich Lungen- und Lebererkrankung


Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Komorbiditäten
Was die Komorbiditäten betrifft, wiesen Männer höhere Raten an ischämischer Herzkrankheit und Lungenembolie auf. Frauen hingegen hatten höhere Raten an Bindegewebeerkrankungen, Osteoporose und Depression.
Abbildung 2: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Komorbiditäten

Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der COPDSubgruppe des EARCO-Registers
Betrachtet man gezielt Patienten mit Alpha-1-Antitrypsin- Mangel und COPD, so zeigen sich auch hier zunächst Unterschiede im Risikoverhalten: Die Männer gaben eine höhere Anzahl an insgesamt konsumiertem Nikotin, erfasst als Packungsjahre, an. Betrachtet man den Schweregrad der COPD, so befanden sich die Frauen mit COPD häufiger im GOLD-Grad 1 (leichtgradige COPD) und seltener im GOLD-Grad 4 (sehr schwere COPD) als Männer. Dennoch wiesen Frauen mit COPD eine deutlich höhere Symptombelastung auf. Darüber hinaus berichteten Frauen in dieser Untergruppe häufiger über mindestens eine Exazerbation im letzten Jahr als Männer.
Unabhängige Risikofaktoren für Symptomlast und Exazerbation
Es erfolgten zusätzliche Analysen, um mögliche Einflussfaktoren wie Raucherstatus, COPD, Geschlecht etc. auf die Symptomlast oder auf Exazerbation zu untersuchen. Das weibliche Geschlecht präsentierte sich in diesen Untersuchungen als unabhängiger Risikofaktor für erhöhte Symptomlast und das Auftreten von mindestens einer Exazerbation in den letzten 12 Monaten.
Fazit
Das Geschlecht scheint in vielerlei Hinsicht eine Rolle beim Alpha-1-Antitrypsin-Mangel zu spielen. Aufgrund der Unterschiede im Risikoverhalten sollte das Geschlecht verstärkt in Programmen für Alkohol- und Tabakprävention berücksichtigt werden. Die Unterschiede hinsichtlich der Lungenerkrankungen wie die Häufigkeit der COPD und des Lungenemphysems bei Männern und der Bronchiektasen bei Frauen verdeutlichen, dass hier maßgeschneiderte Therapieansätze notwendig sind, in denen das Geschlecht berücksichtigt werden sollte. Es ist zu hoffen, dass weitere Untersuchungen auf diesem Feld folgen werden, um Zusammenhänge und Ursachen dieser Unterschiede besser zu erfassen und Geschlechtsadaptierte Therapieansätze zu entwickeln.