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Influenza, Pneumokokken und Co.:
Welche Impfungen für Alphas jetzt Sinn machen

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Dr. Gerhard Wacker

Ende des 18. Jahrhunderts beobachtet der englische Landarzt Edward Jenner, dass Menschen, die nach Kontakt mit Kühen an einem pockenähnlichen Ausschlag erkrankt waren, nicht an den gefürchteten Pocken erkranken. 1796 impft er einen 8-jährigen Jungen mit dem Pustelsekret einer an den sog. Kuhpocken erkrankten Magd, worauf dieser zwar an Kuhpocken erkrankt, aber von Pocken verschont bleibt. Die „Vakzination“ (lat. Vacca – die Kuh) wird geboren! Bereits Jahrhunderte vorher waren in asiatischen Ländern Gesunde mit dem Pustelsekret von an Pocken erkrankten Menschen behandelt worden, was den Krankheitsverlauf abschwächte. Dieses als „Variolation“ bezeichnete Verfahren fand schon vor Jenners Verfahren den Weg nach England. Nachdem 1870/71 eine Pockenepidemie 125.000 Tote gefordert hatte, wurde 1874 im Deutschen Reich die Impfpflicht gegen Pocken verfügt. 1979 konnte die WHO die Erde für pockenfrei erklären – eine Geißel der Menschheit, der zuvor 15 % der Erkrankten zum Opfer fielen, war besiegt.

Infektionskrankheiten begleiten die Menschheit von Anfang an. Pestepidemien rafften von 1347 bis 1352 etwa 40 % der europäischen Bevölkerung dahin. In Hamburg starben im Jahr 1892 etwa 9.000 Menschen an Cholera. Vom Frühjahr 1918 bis Mitte 1919 forderte die sog. Spanische Grippe weltweit mindestens 50 Mio. Tote, alleine in Deutschland starben 320.000 Menschen v.a. in der zweiten Welle von Sept. bis Nov. 1918. 500 Mio. Menschen (¼ der Weltbevölkerung) erkrankten. Der irreführende Name rührt übrigens daher, dass spanische Zeitungen im April 1918 erstmals über die Erkrankung berichteten, denn die Pandemie nahm ihren Anfang wahrscheinlich in einem Ausbildungscamp der US-Army in Kansas und wurde durch die Soldaten nach Europa gebracht. Bereits zwei Jahre nach der Entdeckung des Diphterieerregers 1892 am Institut Pasteur in Paris wurde dort nach Immunisierung eines Pferdes ein Serum hergestellt, mit dem Diphteriepatienten erfolgreich behandelt wurden. Noch im selben Jahr richtete Emil v. Behring zusammen mit den Farbwerken Hoechst eine Großanlage zur Produktion des Serums ein. 1897 isolierte Paul Ehrlich aus diesem Rohstoff ein inaktiviertes „Toxoid“, das weiterhin verwendet wird. Aus diesen grundlegenden Erkenntnissen wurde dann auch der Tetanusimpfstoff entwickelt. Die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung – eine Impfung mit abgeschwächten Viren – wurde maßgeblich von Jonas Salk entwickelt, und führte als Pflichtimpfung seit den 60er Jahren in Deutschland zum Verschwinden der Erkrankung. Seit 1998 wird eine inaktivierte Poliovakzine injiziert, denn die Erkrankung ist in anderen Ländern noch aktiv.

Impfungen sollen das Immunsystem fitter für die Abwehr der Krankheitserreger machen. Bei der „aktiven Immunisierung“ werden entweder lebende, aber abgeschwächte Erreger injiziert (z. B. Masern, Mumps, Röteln, Windpocken, Typhus, Gelbfieber) oder Totimpfstoffe mit Viruspartikeln oder Antigenen des Erregers (Spaltimpfstoffe, Toxoide), die oft an einen Verstärker der Immunreaktion gekoppelt sind (Adsorbatimpfstoffe). Die „passive Immunisierung“ umfasst die Gabe von vorgebildeten Antikörpern in Form eines Hyperimmunglobulins, die nach Infektion von Menschen, anfangs auch von Tieren (heute nur noch bei der Diphterie) gewonnen werden. Ein Beispiel ist die Gabe von Tetagam zusätzlich zu Tetanol nach tiefen, verschmutzten Verletzungen. Erstere ist nur eine Abfangmaßnahme gegen das bereits gebildete Tetanustoxin und induziert beim Empfänger keine eigentliche Immunantwort.

Die Bildung körpereigener Schutzstoffe aus der Gruppe der Immunglobuline und von speziellen Lymphozyten als „Gedächtniszellen“ ist das Ziel der aktiven Immunisierung. Bei erneutem Kontakt mit dem Erreger ist das Immunsystem dann gut vorbereitet und kann die Infektion erfolgreich abwehren.

Impfpass und Spritzen

Grundsätzlich sollten Impfungen nicht während akuter, fieberhafter Erkrankungen erfolgen, auch maligne Bluterkrankungen gelten als Kontraindikation. Eine Allergie gegen Hühnereiweiß kann die Impfung mit auf Hühnereiern gezüchteten Impfstoffen (z. B. Influenza) verhindern. In der Schwangerschaft dürfen keine Lebendimpfstoffe gegeben werden. Ein angeborener oder erworbener Immundefekt führt oft zu einer abgeschwächten oder gar fehlenden Impfantwort. Im Allgemeinen sind aber Impfungen gut verträglich, auch wenn es sehr selten ernsthafte unerwünschte Reaktionen gibt, und stellen immer eine Güterabwägung mit den Gefahren einer nicht verhinderten Infektion dar.

Pneumokokken sind Bakterien, die den Nasen-Rachen-Raum besiedeln und Entzündungen in den oberen Atemwegen und der Lunge verursachen können, sich im ungünstigen Fall auch in die Blutbahn (Sepsis) ausdehnen können, was zu einer höheren Sterblichkeit führt. Ein Erkrankungsgipfel besteht in den ersten beiden Lebensjahren und bei älteren Menschen. Die Häufigkeit symptomloser Träger wird bei Kindern und Jugendlichen auf etwa 20 % geschätzt, bei Erwachsenen 8 %. In Deutschland existieren zwei Impfstoffprinzipien, ein sog. Polysaccharidimpfstoff (PPSV 23/ Pneumovax 23) und ein neuerer Konjugatimpfstoff (PCV 13/ Prevenar 13). Ersterer regt eine Immunantwort gegen 23 Pneumokkenantigene an, die leider aber ohne die Bildung von Gedächtniszellen relativ schwach ist. Dagegen führt PCV 13 zusätzlich zur Bildung von Gedächtniszellen, allerdings nur gegen 13 Serovarianten.

Die STIKO als unsere „oberste Impfbehörde“ unterscheidet zwischen Standardimpfungen für Gesunde und Indikationsimpfungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen mit Vorerkrankungen und Risikoprofilen.

Standardimpfung beim Kleinkind ist PCV 13 in bis zu drei Teilimpfungen bis zum zweiten Lebensjahr, wodurch eine Herdenimmunität erzielt werden soll, die auch für die Erwachsenenbevölkerung relevant ist. Durch die Standardimpfung trat ein deutlicher Rückgang gefürchteter Hirnhautentzündungen ein. Für gesunde Erwachsene ab dem 60. Lebensjahr empfiehlt die STIKO wegen der breiteren Abdeckung von 23 Serotypen unverändert den PPSV 23 – Impfstoff, auch wenn er nicht so immunogen ist.

Die Indikationsimpfung chronisch Kranker mit einem Immundefekt, Krebserkrankungen, nach Milzverlust oder bei chronischer Nieren- oder Leberinsuffizienz sollte sequenziell sowohl mit PCV 13 (Prevenar 13) als auch nach 6 – 12 Wochen mit PPSV 23 (Pneumovax 23) erfolgen. Dies gilt allerdings gerade nicht für Menschen mit chronischen Erkrankungen der Atemwege und der Lunge sowie des Herzens! Diese sollen wegen der breiteren Serotypenabdeckung weiterhin lediglich mit PPSV 23 geimpft werden (der Anteil der 23 in PPSV 23 enthaltenen Serotypen an den invasiven Pneumokokkenerkrankungen in Deutschland ist etwa doppelt so hoch wie der Anteil der in PCV 13 enthaltenen Serotypen), und die Erkrankungen sollen grundsätzlich nicht mit einer Immundefizienz einhergingen. Bei allen Risikogruppen wird eine Auffrischimpfung nach sechs Jahren mit PPSV weiterhin empfohlen, auch wenn der Boostereffekt mit zunehmendem Alter abnimmt.

Die saisonale Virusgrippe wird durch Influenza A- und B- Viren verursacht. Das dominierende A-Virus weist sehr viele Subtypen auf, die nach ihren H- und N-Antigenen bezeichnet werden (z. B. H1N1), das B-Virus ist genetisch stabiler mit lediglich zwei Linien. Etwa alle 10 – 15 Jahredominiert das B-Virus über das A-Virus. Man infiziert sich in der Regel über Tröpfchen, die Infektiosität beginnt oft schon vor den ersten  Symptomen und hält für 4 – 5 Tage nach Symptombeginn an. Gefürchtet ist u. a. eine Pneumonie mit bakterieller Superinfektion v. a. bei Risikopatienten mit bronchopulmonalen Grunderkrankungen, Diabetes, Adipositas.

Die WHO entscheidet im Frühjahr über die Zusammensetzung des Impfstoffes der Nordhalbkugel, im September für die Südhalbkugel. Es handelt sich um einen Totimpfstoff (Spaltvakzine) von zwei inaktivierten Subtypen des A-Virus und von den zwei B-Linien (tetravalent seit 2018 in Deutschland Standard).

Die Impfrate bei Risikopatienten in Deutschland ist mit 24 % leider weit von den Empfehlungen der WHO (75 %) entfernt, lediglich die Ärzte kommen mit 61 % fast ans Ziel. Die bescheidene Impfquote hat sowohl mit mangelnder Information, aber auch mit der von Jahr zu Jahr stark schwankenden Effektivität der Impfung zu tun. Immerhin lag die Effektivität in der Saison 2019/20 bei geschätzten 62 % nach enttäuschenden 21 % in der Saison 2018/19. In Anbetracht der aktuellen COVID-19-Pandemie sollte aber kein Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Influenza-Impfung bestehen.

Gegen die aktuelle Geißel der Menschheit, das SARS-COV 2-Virus, ist die Impfstoffentwicklung in vollem Gange, mindestens 190 Impfstoffprojekte laufen in unterschiedlichem Stand der Entwicklung. Sehr viele verschiedene „Impfstoffplattformen“ sind im Rennen. Der übliche Zulassungsprozess wird durch parallel laufende Sicherheitsstudien in verschiedenen Staaten verkürzt, Zwischenergebnisse werden schon zeitnah von den Zulassungsbehörden bewertet, bevor ein endgültiger Zulassungsantrag gestellt wird. Es kann eine bedingte Zulassung ausgesprochen werden, fehlende Daten zur Langzeitsicherheit müssen nachgereicht werden. Gerade Menschen mit einem höhergradigen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel und dem damit verbundenen Lungenemphysem gehören einer Risikopopulation an, die durch Infektionen mit Influenzaviren als auch Pneumokokken vermehrt gefährdet sind. Dabei braucht es nicht einmal unbedingt eine Pneumonie, alleine hohes Fieber führt zu einem erhöhten Stoffwechsel mit vermehrtem Sauerstoffbedarf und erhöhter CO2-Produktion, was im Einzelfall zu einem ventilatorischen Versagen führen kann. Ein optimaler Impfschutz mit jährlicher Influenzaimpfung sowie Impfung gegen Pneumokokken, vorzugsweise mit PPSV 23 laut aktueller STIKO-Empfehlung, sowie einer Auffrischimpfung mit PPSV 23 nach sechs Jahren, ist auf jeden Fall sinnvoll, auch wenn kein 100 %-iger Schutz erreichbar ist und im absoluten Einzelfall schwerwiegende unerwünschte Wirkungen möglich sind. Die zusätzliche Impfung mit PCV 13 ist unter Abwägung eines individuellen „Immundefekts“ (z. B. jahrelange Behandlung mit Cortisontabletten) nicht „falsch“, wird aber als alleinige Impfung nicht empfohlen.

Bleibt am Schluss die große Hoffnung auf wirksame Impfstoffe auch gegen SARS-COV 2. Bis dahin sind gerade für „Alphas“ die allseits bekannten Distanz- und Hygieneregeln umso wichtiger. Lassen Sie sich nicht entmutigen und bleiben Sie gesund!

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