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Monika Tempel, Alpha1 Deutschland e.V., so erschienen im Alpha1-Journal 2/2022.

Ein paar sanfte Stupser, damit Du nicht dauerhaft in Lethargie versinkst

Seit Jahren reiht sich Krise an Krise. Verständlich, dass Müdigkeit und Resignation um sich greifen. Wenn da nicht das schlechte Gewissen wäre…

 


„Über Bande spielen“

 

Vielleicht erwartest Du aufgrund der Einleitung an dieser Stelle Motivationssprüche oder „Tschakka Tschakka“-Rufe. Stattdessen kommt erst einmal Oscar Wilde zu Wort: „Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen!“
Wenn also das Sofa Deine große Versuchung ist, dann mach es Dir gemütlich: Mit Deinem Lieblingskissen, einer weichen Decke und einer Tasse Zitronengrastee (oder mit allem, was Du für Deine persönliche Sofa-Session brauchst).
Und dann mach erstmal NICHTS – außer dösen und Löcher in die Luft starren.
Erst wenn Du richtig Lust zu einer „Übung auf dem Sofa“ verspürst, lies bitte das folgende Zitat (George Bernard Shaw zugeschrieben): „Die Weisheit eines Menschen misst man nicht nach seinen Erfahrungen, sondern nach seiner Fähigkeit, Erfahrungen zu machen.“
Warum ein Zitat zur Weisheit? Nun ja – ein weiser Umgang mit der Dauerkrise und ihren Folgen: Das wäre doch ein lohnendes Ziel, oder?!?

Die Definition von George Bernard Shaw eröffnet einen ungewohnten Blick auf die Weisheit. Weisheit wird nicht als Ergebnis von Erfahrungen gesehen, sondern als eine Haltung. Sie zeichnet sich aus durch Offenheit, Bereitschaft und Engagement. Weisheit besteht darin, immer wieder diese Haltung zu erwerben und für neue Erfahrungen zu nutzen.
Nach dieser Einleitung solltest Du ein paar Schlucke Tee nehmen – denn ich nutze gleich Deine neue Weisheit für eine Einladung: Folge mir (vom Sofa aus!) bei einem Ausflug in die Kreativtherapie.

Eine Methode dieses spannenden Behandlungsansatzes ist das „Briefschreiben“. Briefschreiben – das soll spannend sein? Wenn Du es ernst meinst mit Deiner neuen „Weisheit“, dann kannst Du es ja mal ausprobieren…

 


Gebrauchsanweisung: Briefschreiben


Benötigte Materialien:

  • Sofa (mit Lieblingskissen und kuscheliger Decke)
  • ausreichend (Zitronengras-)Tee
  • Papier und Schreibstift (nur ausnahmsweise ersetzbar durch Tablet oder Smartphone)
  • Zeit, Zeit, Zeit

Vorgehensweise:

  • Lies jeweils ein Zitat (einmal oder mehrmals).
  • Lass den Spruch eine Zeitlang auf Dich wirken.
  • Verfasse sodann einen Brief an den (mutmaßlichen) Urheber des Zitats: Nimm dabei kein Blatt vor den Mund und lass Deinen Gedanken unzensiert freien Lauf.
  • Lass Deine Zeilen ihre Wirkung entfalten.

 


Ein Übungs-Beispiel: „Lieber Herr von Goethe!“

 

Um Dir einen Einblick in die praktische Umsetzung der Methode zu vermitteln, spiele ich sie anhand eines Zitats durch. „Die größten Schwierigkeiten liegen da, wo wir sie suchen.“ (Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben)

Hier mein Brief an den Dichterfürst:

„Lieber Herr von Goethe!

Machen Sie es sich nicht ein bisschen zu einfach mit Ihrem flotten Spruch? Meine Lustlosigkeit habe ich mir nicht gesucht! Sie hat mich gefunden und weicht jetzt nicht mehr von meiner Seite. Ihr Spruch erscheint mir wenig hilfreich und klingt verdammt nach „Lösungsorientierter Therapie“.

Andererseits: Er befreit erstmal vom angestrengten Suchen. Vielleicht auch vom Suchen nach Lösungen? Damit wäre eine grundsätzlich andere Perspektive auf meine Lustlosigkeit möglich. Im Augenblick starre ich ja nur wie das Kaninchen auf die Schlange, wenn ich an die fatalen Folgen denke, die meine Lethargie in der Zukunft nach sich ziehen wird: Muskelabbau, Leistungsschwäche, Atembeschwerden, verstärkte Inaktivität, Mobilitätsverlust. Keine günstige Prognose!

Ihr Spruch, werter Herr von Goethe, ermöglicht einen Versuch mit „Regnose statt Prognose“. Regnose bezeichnet die Rückschau auf die Gegenwart aus der Perspektive der Zukunft. Manche kennen die Methode „Regnose“ unter der Bezeichnung „Zukunfts-Ich“ oder „Zeitreise“.

Bei einer Prognose erschaffe ich in meiner Vorstellung eine Zukunft aus der gegenwärtigen Perspektive. Sie ist häufig geprägt durch gefühlsbeladene Projektionen, vor allem durch Ängste und Befürchtungen. So wie etwa meine düstere Prognose bis hin zum Mobilitätsverlust, wenn die Lethargie auf Dauer die Oberhand in meinem Leben behält.

Wie aber wirkt die Regnose?
Sie fragt ausdrücklich nicht: Wie wird es in Zukunft sein? Sie geht vielmehr davon aus, dass die Zukunft nicht einfach auf mich zukommt, ohne dass ich etwas daran ändern könnte. Meine gegenwärtige Einstellung, meine Entscheidungen und Handlungen formen nämlich die Zukunft.

Mit der Regnose trete ich also in eine produktive Beziehung zu meiner Zukunft, in der ich die jetzige Situation bereits erfolgreich gemeistert habe.

Natürlich könnte ich auch scheitern!
Dann würde meine düstere Prognose Wirklichkeit. Aber es ist ja kein Naturgesetz, dass sich die Dinge nur in diesem negativen Sinne entwickeln müssen.

Ich kann mich aus der Lethargie der Krisenmüdigkeit und der Angststarre des Kaninchens lösen. Mit der Regnose kann ich eine Perspektive einnehmen, die aus einer realistisch optimistischen Zukunft einen erkundenden Rückblick auf das Hier und Jetzt und die kommenden Schritte wirft.

Wie gestaltet sich dieser Rückblick?

  • Er hält mit Offenheit und Phantasie Ausschau nach Änderungs- und Handlungsmöglichkeiten.
  • Er nimmt äußere Geschehnisse und innere Anpassungen kreativ und konstruktiv vorweg.
  • Er schafft ein positives Gefühl im Vertrauen auf die eigene bisher erfahrene Flexibilität, auf die eigene Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit und auf die tatkräftige Unterstützung durch andere.

Gar nicht so übel, lieber Herr von Goethe, was Ihr Spruch angestoßen hat. Jetzt habe ich tatsächlich Lust, mich mit meiner Freundin zu einem Spaziergang zu verabreden und ihr dabei von Ihrem „Stupser-Zitat“ zu erzählen.

So long, Johann Wolfgang – und DANKE!

Monika

 


Jetzt bist Du an der Reihe: Eine Auswahl von Stupser-Zitaten

„Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.“ (Kurt Tucholsky zugeschrieben)

„Ohne Emotionen kann man Dunkelheit nicht in Licht und Apathie nicht in Bewegung verwandeln.“ (Carl Gustav Jung zugeschrieben)

„Ich bin nicht 10.000-mal gescheitert. Ich habe erfolgreich 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.“ (Thomas Alva Edison zugeschrieben)

„Das Geheimnis des außerordentlichen Menschen ist in den meisten Fällen nichts als Konsequenz.“ (Gautama Buddha zugeschrieben)

Ich bin sicher, dass Dir zu dem ein oder anderen Spruch spontan ein kritischer oder ein zustimmender oder ein ergänzender Brief an den jeweiligen Urheber einfällt.
Schreib Dir alle Gedanken von der Seele und sende mir Deinen Brief. Meine Kontaktdaten findest Du am Ende des Artikels.
Ich möchte die Briefe (auf Wunsch auch ohne Absenderangabe) als Grundlage für mein Impulsreferat beim Alpha1- Infotag 2023 nehmen. Daraus könnte sich eine spannende Diskussion entwickeln.

 


Der ultimative Abschluss-Stupser

 

Ist Dir etwas aufgefallen? Alle bisherigen Zitate werden Männern zugeschrieben.
Es scheint fast so, als wäre „das starke Geschlecht“ mit besonderer Expertise zum Thema „Motivation“ gesegnet. Doch der Schein mag trügen, denn das absolut herausforderndste Zitat zu diesem Thema stammt von einer starken Frau:

„Mach jeden Tag eine Sache, die Dir Angst macht.“ (Eleanor Roosevelt zugeschrieben)

Ich freue mich auf lebhafte Rückmeldungen und sende herzliche Grüße aus Regensburg

Monika Tempel

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